FRG/Waldkirchen. Öl und andere natürliche Ressourcen werden immer knapper, die Energiepreise steigen, die Umwelt wird immer stärker in Mitleidenschaft gezogen. Und während wir in Deutschland daran arbeiten, dass ein Atomkraftwerk nach dem anderen geschlossen wird, ist das bei einigen unserer Nachbarn noch lange nicht der Fall. Angesichts dieser Problematik stellt sich mehr denn je die Frage: Wie kann jeder Einzelne von uns dazu beitragen, dass in Sachen Energie ein Umdenken stattfindet? Nun, eine Möglichkeit wäre, Mitglied der Genossenschaft „Bürgerenergie Freyung-Grafenau eG“ zu werden. Die Energiegenossenschaft soll es jedem einzelnen Bürger des Landkreises ermöglichen, sich an der Energiewende zu beteiligen. Der 25-jährige Simon Stockinger aus Waldkirchen sitzt im Aufsichtsrat der Energiegenossenschaft und hat sich mit dem Onlinemagazin „da Hog’n“ darüber unterhalten, welche Formen erneuerbarer Energie in Freyung-Grafenau möglich sind, ob der Landkreis irgendwann energieautark sein kann – und welchen Einfluss die Bürgerenergie auf den Betrieb des Atomkraftwerks Temelin haben könnte.

Das erste Projekt, das die Energiegenossenschaft im letzten Jahr in Angriff genommen hat, ist eine Photovoltaikanlage auf dem Dach der Freyunger Realschule. Foto: da Hog’n
„So mussten wir wider Erwarten nicht einmal einen Kredit aufnehmen“
Zu welchem Zweck wurde die Genossenschaft „Bürgerenergie Freyung-Grafenau eG“ gegründet? Wer waren die Gründungsmitglieder?
Die Energiegenossenschaft soll es jedem Bürger ermöglichen, sich an der Energiewende zu beteiligen. So kann auch der Mieter, der kein eigenes Dach für eine Photovoltaik-Anlage hat, oder der Schüler, der nur über ein überschaubares Budget verfügt, mitmachen. Offiziell gibt es 59 Gründungsmitglieder, die auf Einladung eines Planungsteams am 1. August 2012 zusammengekommen sind. Die Idee selber stammt aber aus dem Kreistag des Landkreises Freyung-Grafenau: Am Anfang des vergangenen Jahres hatten die Vorsitzenden aller Fraktionen besprochen, sich ernsthaft um die Energiewende zu kümmern – und dieses Projekt in die Wege zu leiten.
Stehen denn irgendwelche politischen Absichten hinter der Genossenschaft? Oder politische Parteien involviert?

Simon Stockinger ist Mitglied der Energiegenossenschaft, weil sein Geld damit in der Region bleibt. Foto: privat.
Überhaupt nicht! Es sind zwar einzelne Mitglieder im Vorstand beziehungsweise im Aufsichtsrat politisch aktiv – so bin ich selbst CSU-Ortsvorsitzender -, aber das ist in diesem Zusammenhang zweitrangig. Es geht rein um die Ziele der Genossenschaft.
In Freyung wurde das erste Projekt ja bereits verwirklicht: Photovoltaik auf dem Dach der Realschule. Wie wurde dieses Projekt finanziert und welche Vorteile bringt es?
Vor der Gründung standen wir vor dem Problem, dass wir ohne die Genossenschaft kein Projekt verwirklichen konnten, da niemand einem ‚wilden Haufen‘ sein Dach überlässt. Gleichzeitig konnten wir aber auch keine Genossenschaft gründen, weil wir noch kein konkretes Projekt vorweisen konnten. Landrat Ludwig Lankl kam uns damals entgegen und versprach, sozusagen als Hausherr der Realschule, uns das Dach kostenlos zu überlassen. Die Investitionssumme konnte dadurch von den Einlagen der Mitglieder auf Anhieb gedeckt werden. So mussten wir wider Erwarten nicht einmal einen Kredit aufnehmen.
„Die Bürgerenergie trägt dazu bei, dass das Geld in der Region bleibt!“
Es wurde auch versucht, auf den Dächern der Bundeswehr derartige Anlagen zu verwirklichen. Warum hat das nicht geklappt?
Der Bund kann seine Dächer offenbar nicht ohne öffentliche Ausschreibung verpachten. Obwohl hier intensiv nachgehakt wurde, konnte dieses bundesweit einheitliche Verfahren auch im Falle der Freyunger Kaserne nicht geändert werden.
Wer kann Mitglied bei der Genossenschaft werden? Welche Vorteile bietet eine solche Mitgliedschaft?
Mitglieder sollen die Landkreisbürger sein. Das Wort ’sollen‘ haben wir absichtlich gewählt, damit wir nicht zum Beispiel einen Studenten, der vorübergehend in Regensburg lebt, aus der Genossenschaft werfen müssen. Das ist aber auch schon die einzige Einschränkung. Es dürfen außerdem nicht nur Personen Mitglied werden, sondern auch Institutionen wie etwa Gemeinden, Vereine oder Firmen, die ihr Geld in der Region anlegen wollen. Der Vorteil liegt darin, dass mein Geld angelegt ist – und ich vor Augen habe, was mit meiner Einlage passiert beziehungsweise sogar indirekt steuern kann, wie die Projekte ausschauen werden.
Warum bist Du Mitglied geworden?
Weil mir wichtig ist, dass das Geld in der Region bleibt. Warum sollen Großinvestoren aus der ganzen Bundesrepublik in unserer Region Geld verdienen, wenn wir es selber können? Natürlich kann sich ein einfacher Arbeitnehmer kein Windrad im siebenstelligen Bereich leisten. Wenn sich die Kosten jedoch auf beispielsweise 200 Genossen aufteile, schaut die Sache schon wieder realistischer aus.
„Die Zukunft liegt in einem Mix aus Wasser, Sonne, Wind und Biomasse“
Das Thema „Energie für die Region aus der Region“ – warum ist das so wichtig?
Weil wir so, wie vorhin schon erwähnt, das Geld in der Region halten können. Meiner Meinung nach liegt die Zukunft aber auch in der dezentralen Energieversorgung. Nicht große Atom- oder Kohlekraftwerke, sondern ein Mix aus Wasser, Sonne, Wind oder auch Biomasse wird in Zukunft unser Stromlieferant sein. Außerdem ist es schon rein aus physikalischer Sicht ein Muss die Leitungen kurz zu halten, um den Widerstand zu verringern. Regionale Wirtschaftskreisläufe im Energiebereich stärken – das ist eine große Zukunftschance für unseren ländlichen Raum.
Windkraft kann ja – nach Aussage des Landratsamts – in unserem Landkreis nur in vereinzelten Gebieten verwirklicht werden. Welche erneuerbaren Energien sind denn dann möglich bei uns?
Ja, das ist richtig. Momentan gibt es laut meinen Informationen nur zwei Kommunen im Landkreis, in denen Windkraft prinzipiell möglich ist. Die eine ist Schönberg und die andere meine Heimatgemeinde Waldkirchen. Falls es zu einer Realisierung dieser Anlagen kommen sollte, stehen wir Gewehr bei Fuß! Ansonsten sind natürlich die weiteren Energieträger wie Wasser, Wind, Biomasse, Holz oder Geothermie in der Region vorhanden – und diese gilt es so gut wie möglich zu nutzen.
Kann man damit den Energiebedarf in unserem Landkreis decken? Könnte der Landkreis also quasi energieautark werden?
In der Summe mag dies langfristig machbar sein – niemals jedoch 24 Stunden lang an 365 Tagen im Jahr. Da wird es auch in Zukunft einen Austausch mit den umliegenden Regionen, Bundesländern, ja sogar Staaten geben müssen, um eine absolute Versorgungssicherheit zu erhalten.
Ein wichtiger Aspekt für die Zukunft ist auch, Möglichkeiten für Energie- bzw. Stromspeicherung zu schaffen. Ein geplantes Projekt im Nachbarlandkreis Passau ist zum Beispiel das Pumpspeicherkraftwerk Riedl (Jochenstein). Gibt es vergleichbare Pläne auch für den Landkreis Freyung-Grafenau?
Darüber wäre mir momentan nichts bekannt.
„Wir alleine können das Atomkraftwerk Temelin nicht verhindern“
Vorstand Hans Madl-Deinhart will in Zukunft auch die thermische Energiegewinnung durch Biomasse vorantreiben. Biomassekraftwerke stehen aber unter anderem häufig in der Kritik, nicht umweltfreundlich zu sein. Wie ökologisch ist ein derartiges Kraftwerk überhaupt? Oder geht es vorwiegend darum, die Rohstoffe aus der Region zu beziehen?

Vorstand Hans Madl-Deinhart will unter anderem die thermische Energiegewinnung durch Biomasse vorantreiben. Foto: Grüne FRG
Wenn die Rohstoffe aus der Region kommen, sind Biomassewerke sicherlich ökologisch sinnvoll. Verkehrt wäre es dagegen, wenn man den Brennstoff aus großen Entfernungen zu uns transportiert, denn dann stimmt die Ökobilanz nicht mehr. Außerdem ist mir persönlich wichtig, dass dabei vorwiegend Abfallprodukte wie zum Beispiel Gülle verwendet werden.
Was bringt uns allen eine Besinnung auf erneuerbare Energien, wenn im 40 Kilometern entfernten Nachbarland das Atomkraftwerk Temelin steht? Kann die Bürgergenossenschaft dazu beitragen, unsere Nachbarn für dieses Thema zu sensibilisieren?
Wir alleine können Temelin natürlich nicht verhindern, so viel Realismus traue ich jedem zu. Aber selbst die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Soll heißen: Wenn sich in Bayern oder gar ganz Deutschland solche Bürgergenossenschaften etablieren können, dann wird das ein oder andere Atomkraftwerk zwangsläufig überflüssig werden. Ob sich die tschechischen Bürger von uns beeindrucken lassen, kann ich nicht beurteilen. Aber wir können Beispiel gebend sein – und das sollte auch unser Ehrgeiz bleiben.
Interview: Dike Attenbrunner