Freyung. Der 20. Januar 2013 soll in Freyung ein Tag des Bürgers werden, denn: Es wird abgestimmt! Über das Ratsbegehren mit dem Titel „Weniger Durchgangsverkehr in unserer Innenstadt“. Wie von der CSU vorgeschlagen und mehrheitlich im Stadtrat beschlossen, sollen die Freyunger nun selber bestimmen, ob sie die Süd- und Westspange wollen – oder eben nicht. Eine tolle Sache – die Bürger dürfen mitbestimmen! Sie dürfen demokratisch darüber entscheiden, ob sie diese Umgehungsstraßen wollen oder nicht. Eigentlich alles paletti, oder nicht?
„Warum abstimmen, wenn die Zukunft sowieso schon klar ist?“
Nein. Paletti ist eigentlich nichts. Denn obwohl alle Stadträte das Ratsbegehren begrüßen, sind einige aus den Reihen der Opposition ganz und gar nicht zufrieden mit der Formulierung der Frage. Diese muss mit JA oder NEIN beantwortet werden und liest sich im Wortlaut: „Sind Sie dafür, dass der Verkehrsentwicklungsplan umgesetzt wird, indem West- und Südspange gebaut werden und damit die Innenstadt um ca. 50 Prozent vom Verkehr entlastet wird?“
Stadtrat Gerhard Drexler (FDP) beispielsweise sieht darin einen gekonnten Schachzug der Christsozialen: „Die CSU gibt sich mit dem Ratsbegehren demokratisch – suggeriert aber mit dem Zusatz ‚und damit die Innenstadt um ca. 50 Prozent vom Verkehr entlastet wird‘, dass bereits gesichert ist, dass dieser Zustand mit dem Bau der Umgehungsstraßen auch eintreten wird. Warum also überhaupt noch abstimmen, wenn die Zukunft sowieso schon klar ist“, fragt sich Drexler, der seit den jüngsten Entwicklungen ohnehin mit einigen Stadtratskollegen auf verbalem Kriegsfuß steht. Für ihn stehe fest, dass sich die CSU nach außen hin zwar demokratisch gibt – mit dieser Fragestellung aber gleichzeitig dafür sorgt, dass die Bürger mit dem von der CSU gewünschten JA antworten …
Stadt Freyung: „Gegen die Fragestellung ist nichts einzuwenden“
Drexler traute der Sache nicht, wandte sich vergangenen Montag (17. Dezember) an die für derlei Anliegen zuständige Rechtsaufsichtsbehörde im Landratsamt – und war damit nicht der Einzige. Denn noch am selben Tag bat Christian Attenbrunner, ein Freyunger Bürger, ebenfalls die Rechtsaufsicht um Klärung, ob das Ratsbegehren in dieser Form überhaupt zulässig ist. Er habe in der Woche zuvor bei der Stadt nachgehakt, ob die Frage juristisch überprüft worden sei – und bekam vom geschäftsführenden Beamten Herbert Graf folgende Antwort (Email liegt der Redaktion vor): „Die Fragestellung wird sowohl von der Rechtsaufsichtsbehörde als auch aktuell vom Bayerischen Innenministerium für sehr wohl zulässig gehalten.“
Auf Hog’n-Nachfrage bei Freyungs Bürgermeister Dr. Olaf Heinrich und Geschäftsleiter Graf wurde von beiden Seiten mitgeteilt, dass es ein Telefonat zwischen der Rechtsaufsicht und Graf gegeben habe, in dem Graf bestätigt worden sei, dass es nichts gegen die Fragestellung einzuwenden gäbe. Das Landratsamt konnte dies am vergangenen Freitag nicht bestätigen, da die beiden zuständigen Juristen nicht erreichbar waren.
Attenbrunner wandte sich daraufhin auch gleich noch persönlich an die Rechtsaufsichtsbehörde, weil er die Begründung von Graf unzureichend fand. Dieser hatte ihm geschrieben, dass man die Worte „ca. 50 Prozent“ in die Fragestellung mit aufnehmen dürfe, weil diese Zahl auf der Berechnung des seriösen Verkehrsplaners Dorsch Consult basiere. Attenbrunner war jedoch der Meinung, dass der Zusatz „ca.“ einen sehr großen Spielraum bietet und man den Bürgern damit vorgaukelt, dass dies auch tatsächlich eintreten werde.
„Wer will schon, dass die Innenstadt nicht vom Verkehr entlastet wird?
Am vergangenen Freitagvormittag reichte die BGStuL ebenfalls eine schriftliche Anfrage beim Landratsamt ein. Auf die Frage, warum man mit diesem Schritt denn solange gewartet habe, antwortet erster Vorsitzender Rainer Rathmann: „Wir wollten eine unnötige Diskussion vermeiden und haben uns deswegen zunächst an den Verein ‚Mehr Demokratie in Bayern‘ gewandt. Dort wurde uns empfohlen, die Fragestellung überprüfen zu lassen, woraufhin wir am Freitag eine Anfrage auf Prüfung bei der Rechtsaufsichtsbehörde eingereicht haben.“ Ähnlich wie Drexler hätte man seiner Meinung nach nur die Frage: „Sind Sie dafür, dass der Verkehrsentwicklungsplan umgesetzt wird, indem West- und Südspange gebaut werden?“ stellen dürfen. Der Zusatz führe nur dazu, dass die Frage von den Bürgern gar nicht mit NEIN beantwortet werden könne, denn: „Wer ist schon dafür, dass die Innenstadt nicht vom Verkehr entlastet wird?“
Die Rechtsaufsichtsbehörde prüft nun, ob die Fragestellung zulässig ist
Jedenfalls, so Pressesprecher Karl Matschiner, bat das Landratsamt die Stadt Freyung bereits am vergangenen Dienstag um eine Stellungnahme bezüglich der Anfragen vom vergangenen Montag. Diese traf am Donnerstag dann bei der zuständigen Behörde ein. Am Freitag wurde ebenfalls hinsichtlich der Anfrage der BGStuL um eine Stellungnahme der Stadt gebeten. Vorgestern wurde dann auch mit der Prüfung begonnen. Mit einer Entscheidung über die Zulässigkeit dürfte aber vor kommenden Donnerstag nicht zu rechnen sein – denn es befindet sich erst wieder nach den Feiertagen ein zuständiger Jurist im Landratsamt. „Und bei dieser komplexen Fragestellung müssen wir einen Juristen einbinden“, beteuert Matschiner.
Wie geht es nun also weiter? Sollte die Rechtsaufsichtsbehörde zu dem Schluss kommen, dass die Fragestellung in der jetzigen Form unzulässig ist, sagt Matschiner, könnte die Behörde innerhalb ihrer Ermessensprüfung sagen, dass der Stadtratsbeschluss zum Ratsbegehren zu beanstanden ist. Nur: Ob sich die Stadt Freyung diese „Empfehlung“ zu Herzen nimmt – und die Frage abändert, steht auf einem anderen Blatt Papier. Denn, so der Pressesprecher weiter: „Ein Ratsbegehren liegt im eigenen Wirkungskreis der Stadt.“ Die Rechtsaufsichtsbehörde könne den vom Stadtrat angestrebten Bürgerentscheid also faktisch nicht aufhalten. Das müsste „schlimmstenfalls“ dann gerichtlich entschieden werden.
Stadt hält am Ratsbegehren fest – die Wähler wurden bereits informiert
Der Entscheid ist indes in vollem Gange. Wie Freyungs Bürgermeister Dr. Olaf Heinrich und Geschäftsleiter Herbert Graf am Freitag mitteilten, wurden die Unterlagen, in denen die Bürger über den Bürgerentscheid informiert werden, bereits von der Anstalt für Kommunale Datenverarbeitung in Bayern (AKDB) an die Post weitergegeben – diese trafen bei den ersten Wählern bereits am Samstag ein. Schließlich müssen die Freyunger Bürger spätestens 21 Tage vor dem Bürgerentscheid schriftlich über das Ratsbegehren unterrichtet werden. Heinrich und Graf sind jedenfalls fest davon überzeugt, dass alles mit rechten Dingen zugeht: „Die Fragestellung wurde von verschiedenen Stellen juristisch geprüft und für zulässig bewertet.“
BGStuL-Vorsitzender Rainer Rathmann versteht allerdings nach wie vor nicht, warum das Ratsbegehren überhaupt sein muss – er sieht darin eine Win-Win-Situation für die politische Stadtführung: „Ganz egal, wie der Bürgerentscheid ausfallen wird: Der Gewinner ist die CSU. Stimmt die Mehrheit für Süd- und Westspange, dann wird die Stadt versuchen, die erforderlichen Grundstücke zu bekommen. Sollte dies nicht gelingen, kann sie sagen: ‚Schaut her, Ihr Bürger, wir haben versucht, euren Willen durchzusetzen, aber es hat nicht geklappt. Wir können nichts dafür …‘ Stimmen die Bürger mehrheitlich gegen Süd- und Westspange, kann die politische Führung hingegen sagen: ‚Liebe Bürger, wir wollten ja, aber Ihr habt uns nicht gelassen.‘“
Der Bürgerentscheid hat übrigens die Wirkung eines Beschlusses des Gemeinderats. Der Bürgerentscheid kann innerhalb eines Jahres nur durch einen neuen Bürgerentscheid abgeändert werden, es sei denn, dass sich die dem Bürgerentscheid zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage wesentlich geändert hat. Außerdem müssen mindestens 20 Prozent der Freyunger Stimmberechtigten am Bürgerentscheid teilnehmen und dagegen beziehungsweise dafür stimmen, damit dieser gültig ist. Es reicht also nicht, wenn nur 20 Prozent der Stimmberechtigten teilnehmen – es müssen 20 Prozent der Stimmberechtigten eindeutig mit JA oder NEIN abstimmen. Nehmen zu wenige Bürger teil, ist der Bürgerentscheid gescheitert.
„So einfach ist das mit der Verkehrsentlastung leider nicht“
Gerhard Drexler versteht jedenfalls nicht, warum der Bürger erst jetzt abstimmen darf, nachdem und nicht bevor die Tiefgarage an eine Stelle gebaut wurde, die den Verkehr laut Verkehrsgtuachten um 1600 Fahrzeuge erhöht: „Jetzt, da diese Fakten geschaffen worden sind, kann sich der Bürger nur noch zwischen Verkehrschaos und Umgehungsirrsinn entscheiden.“ Und auch die BGStuL hätte es lieber gesehen, wenn man das von ihnen erstellte Arbeitspapier zur Verkehrsentwicklung noch einmal ausführlich mit der Bevölkerung diskutiert hätte. „Wir von der BGStuL können uns weder für noch gegen Süd- und Westspange aussprechen – so einfach ist das leider nicht mit der Verkehrsentlastung in der Freyunger Innenstadt“, sagt Rathmann.
Wie dem auch sei, der Bürgerentscheid wird wohl aller Voraussicht nach wie geplant am 20. Januar 2013 stattfinden. Denn, so hat es zumindest den Anschein, die Stadt Freyung wird das Ratsbegehren weiterverfolgen – Rechtsaufsichtsbehörde hin oder her. Stoppen könnte das Ganze höchstens noch das Verwaltungsgericht in Regensburg, mit einer einstweiligen Verfügung.
Dike Attenbrunner
Auch werden in dem besagten Schreiben der Stadt Freyung an die Bürger die Straßen, die eine Entlastung erfahren mit der Anzahl der Autos aufgeführt, nicht jedoch die Straßen, die durch die Spangen eine Mehrbelastung erfahren würden, wie Zuppingerstraße und Passauer Straße (letztere jedenfalls solange die Südspange nicht gebaut ist – soweit ich mich an das Gutachten noch erinnere.) Das finde ich auch nicht neutral dargestellt, und scheint mir eher meinungsbildend für die den Bau der Spangen. Die Innenstadt wird eventuell entlastet, die Außenbezirke belastet. Diese eine (gefühlte) Stunde, in der in der Freyung Innenstadt Stau ist, lohnt die Nachteile (Kosten, Umverteilung Belastung) des Baus der Spangen aus meiner Sicht nicht.
Am 17.12. antwortete mir der Geschäftsführer der Stat per Email: „…Die Fragestellung wird sowohl von der Rechtsaufsichtsbehörde als aktuell auch vom Bayerischen Innenministerium als sehr wohl für zulässig gehalten.“
Die Antwort stellte mich nicht zufrieden, weil keine plausible Begründung mitgeteilt wurde. Deshalb stellte ich am selben Tag einen Antrag an die Rechtsaufsichtbehörde des Landratsamts, meine Bedenken über den Fragetext zu überprüfen.
Am 19.12. erhielt ich Post vom Landratsamt: „Da der Rechtsaufsichsbehörde zum jetzigen Zeitpunkt noch keinerlei Unterlagen zu dem oben gennnten Ratbegehrn voliegen, mussten diese mit Schreiben vom heutigen Tag zunächst bei der Stadt Freyung angefordert werden. Mit diesem Schreiben wurde die Stadt Freyung außerdem zu Stellungnahme zu den von Ihnen vorgebrachten Punkten aufefordert. Sobald alle für die Beurteilung Ihrer Anfrage notwendigen Unterlagen vorliegen, wird die Rechtsaufsichtsbehörde auf die Angelegenheit zurückkommen.“
Daraufhin bat ich die Stadt Freyung mir zu erklären, wie es zu diesen unterschiedlichen Auffassungen der Stadt und der Rechtsaufsicht kommt. Dazu Graf per Email am 19.12.: „Es stimmt, dass dem Landratsamt keine Unterlagen über das Ratsbegehren vorliegen. (…) Nachdem die Zulässigkeit der Fragestellung diskutiert wurde, erfolgte eine entsprechende telefonische Anfrage beim Sachgebietsleiter Richard Aigner, LRA FRG. Es gibt also keine widersprüchlichen Aussagen.“
Leider waren nach dem Schreiben aufgrund der Weihnachtstage die entsprechenden Ansprechpartner im LRA nicht mehr erreichar. In dem Schreiben vom LRA wurde jedenfalls nichts von einem Telefonat mit der Stadt mitgeteilt.
Bei dem ganzen Hick-Hack frage ich mich: entspricht eine kurze telefonische Anfrage überhaupt einer exakten juristischen Prüfung?
Telefonnotiz zu meinem Gespräch mit Richard Aigner
18.12.12 ca.14:30 Telefonat Richard Aigner (Rechtsaufsicht) zum Text des Ratsbegehren!
Herr Aigner konnte mir am 18.12.12 die Freigabe des von mir kritisierten Textes von Seiten des LRA nicht bestätigen. Er sagte dazu „Herr Graf hat mit mir telefoniert und ich habe Herrn Graf darauf hingewiesen, dass …
PS: Rest der Notiz auf Anfrage
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Drexler
Stadtrat