Althütte. Hog’n-Redakteurin Dike Attenbrunner war zu Besuch beim Glaskünstler Hubert Stern aus Althütte bei Frauenau – und durfte das Glasblasen ausprobieren. Dabei machte sie die Erfahrung, dass es für jemand Ungelernten schon eine Kunst ist, einer Weihnachtskugel überhaupt eine runde Form zu verleihen. Ein gläsernes „Ausprobiat“ zwischen Gesprächen über den Werdegang eines Künstlers und dem Stellenwert von Kunst im „künstlerischen Hungerland Niederbayern“.
„Wenn einer jahrelang zu BMW rauffährt, sagen alle: ‚Mensch, ist der fleißig!‘ Aber ein Künstler? Der sitzt doch die meiste Zeit nur herum und lässt sich von der Muse küssen …“ Hubert Stern schüttelt resigniert den Kopf. Er schaltet den Bunsenbrenner aus, an dem er gerade noch klitzekleine Schnecken aus Glas angefertigt hat.
Künstler haben nicht das gleiche Ansehen wie „normal“ Arbeitende
„Ein Künstler hat einfach nicht das gleiche Ansehen wie einer, der einem scheinbar richtigen Beruf mit festen Arbeitszeiten nachgeht“, sagt der 55-Jährige. Währenddessen setzt er die Brille ab, die seine Augen vor dem grellen Licht des Feuers schützen.
Und warum nicht? Stern setzt sich auf einen Stuhl neben dem Ofen, der seine Werkstatt im Winter beheizt – und legt die Hände auf die Knie. „Weil es zwar viele gibt, die sich Künstler schimpfen, diese sogenannten Künstler aber meistens nicht hauptberuflich als solche arbeiten.
Ein Lehrer, der viel Urlaub und ein sicheres Einkommen hat – und der nebenbei malt oder schreibt, ist nicht den gleichen existenziellen Sorgen ausgesetzt wie ein Künstler, der damit seinen Lebensunterhalt verdienen muss. Das heißt nicht zwangsläufig, dass diese Kunst schlecht sein muss“, räumt Stern ein, „aber das künstlerische Schaffen entsteht unter einem ganz anderen Druck.“ Und das merke man auch den Arbeiten an.
Stern wurde die Glaserei vererbt – auch der Großvater war ein Glaserer
Hinzu komme, dass vielen dieser „Hobby-Künstler“ die handwerkliche Ausbildung fehle: „Wenn aus einer Ansammlung von Zufallsprodukten eine Ausstellung gemacht wird, sehe ich das sehr kritisch. Ein Gitarrist kann auch nur dann frei und kreativ improvisieren, wenn er das Instrument gut genug kennt. Ein Künstler muss einfach wissen, wie er mit dem Material umgeht. Und das ist leider häufig nicht der Fall.“ Und so entstünde dann der Eindruck, dass irgendwie jeder Kunst machen kann.
Stern ist ausgebildeter „Glaserer“. Gleich nach der Volksschule ging er mit 15 Jahren an die Glasfachschule in Zwiesel. Wie es dazu kam? Stern zuckt mit den Schultern. „Irgendwie ist mir das in die Wiege gelegt worden. Der Großvater war schon Glasbläser in Buchenau. Und in der Lehrzeit habe ich dann auch recht schnell gemerkt, dass mir das Glas liegt. Ich durfte die Lehrzeit sogar von drei auf zwei Jahre verkürzen. Weil ich der Beste im Jahrgang war.“
Als 17-jähriger Geselle verging ihm der Spaß jedoch: „Als Glasapparatebläser habe ich unter anderem Reagenzgläser gemacht – und da sind dann Fehlertoleranzen von einem Millimeter die Vorgabe. Das war sozusagen die persönliche Freiheit, die ich als Glasbläser hatte – und da fühlte ich mich eingeschränkt.“
Aus einem kleinen Waschhäuschen wurde das erste Glasatelier
Also ging er zurück nach Frauenau, machte eine Kurzausbildung zum Holzhauer. Er verdiente ab da sein Brot mit Holz. „Aber das Glas hat mich nie losgelassen! Ein Kumpel von mir hatte neben seinem Haus ein kleines Waschhäuschen stehen, so eins mit Ofen, wie es die Leute früher zum Wäsche waschen benutzt haben. Er hatte dort nur Krempel gelagert – und weil ich als Holzhauer im Winter immer gestempelt habe, konnte ich mir dort eine kleine Werkstatt einrichten und das Material Glas auf eine ganz andere Art kennenlernen. In dieser Zeit habe ich erst richtig erfahren, was das Material von mir verlangt: Wie ich mit Glas umgehen muss, damit es nicht zerreißt und wie ich lerne, Spannungen richtig einzuschätzen.“
Nach kurzer Zeit wurde auch schon die erste Galeristin auf den jungen Glaserer aufmerksam: „Da kam eine ganz mondäne Frau mit furchtbar vielen Ringen an den Fingern zu mir ins Waschhaus – und die hat als erste öffentliche Person bewundert, was ich da mache. Ich habe damals mit schwarzem Glas und Blattgold experimentiert – und diese Galeristin aus Landshut war gleich hin und weg von meinen Sachen. Die wollte auf der Stelle alles mitnehmen.“
Stern lacht bei der Erinnerung an diese Begegnung. „Ich habe dann noch überlegt, wie das jetzt wohl gehen wird, ob die mir Geld gibt – oder was ich dafür verlangen soll, während ich ihr gleichzeitig eine Kiste nach der anderen ins Auto getragen habe. Die gute Frau hat natürlich sofort gewusst, dass sie ein absolutes Greenhorn vor sich hat. Die hat mir einfach eine Visitenkarte in die Hand gedrückt und gesagt, sie meldet sich, sobald sie etwas verkauft hat. Ich habe natürlich nie wieder etwas von ihr gehört – und geschnallt, dass das Kunstgeschäft eigentlich ganz anders läuft!“
Stern ist dann erst mal nach Kanada ausgewandert. Die Arbeit mit dem Holz befriedigte ihn nicht – und mit dem Glas war er sich auch nicht mehr so sicher. Er hinterließ nicht mal eine Adresse, so sicher war er sich mit der Auswanderung. Der Gedanke: Im Yukon-Territorium ein Blockhaus bauen und mit der Natur leben.
Aber davon kam er ziemlich schnell wieder ab: „Ich war schon immer ein Naturmensch, aber halt ein Naturmensch bei uns im Bayerischen Wald, da, wo das wildeste Tier eine Feldmaus ist! Aber da droben bist du als Mensch ein Fremdkörper. Wenn du mit der Schrotflinte im Anschlag im Zelt liegst, weil jederzeit ein Bär daherkommen könnte, kommst du ganz schnell weg von der Naturromantik. Ich habe einfach gemerkt, dass ich der Sache nicht gewachsen bin: Entweder drehe ich durch oder mich frisst der Bär.“
In Amerika machte Stern Bekanntschaft mit der Studioglastechnik
Also ist er wieder heim. Aber einer festen Arbeit wollte Stern nicht mehr nachgehen, das war ihm in der endlosen Natur Kanadas klar geworden, wo er viel Zeit zum „Sinnieren“ hatte. Er fand ein kleines Häuschen in Frauenau und gründete sein eigenes Glasatelier. „Ich habe immer von sechs Uhr früh bis sechs Uhr abends gearbeitet.
Einen halben Tag habe ich mich um neue Aufträge bemüht, die andere Hälfte des Tages habe ich gearbeitet. Das lief ganz gut. Und als ich gemerkt habe, dass ich zum Leben nicht viel Geld brauche, habe ich drei Jahre lang Geld gespart – und bin dann mit dem Gesparten ab nach Amerika und Kanada.“
In New York machte er dann auch zum ersten Mal Bekanntschaft mit der Studioglastechnik. „Die Amis sind einfach nicht so traditionsbelastet wie wir. Immerhin ist unser Gebiet seit 500 Jahren vom Glashandwerk geprägt, Glas war im Woid nie ein Medium der Kunst. Und die Studioglas-Geschichte hat mir einen völlig neuen Zugang zum Glas gewährt.“
In North Carolina besuchte er die Penland School of Crafts und belegte einen Kurs im Fach Studioglas. „Das Witzige an der ganzen Studioglasgeschichte war die Tatsache, dass denen oft die technische, handwerkliche Komponente fehlte.“ Eines Tages wurde Stern dann auch vom Direktor ins Büro gebeten, mit der Bitte, einen Brenner anzuschließen. „Keiner an dieser Uni wusste, wie man dieses Gerät in Betrieb nimmt!“
„Bei uns im Woid werden die eigenen Künstler klein gehalten!“
Nach eineinhalb Monaten kehrte Stern wieder zurück. Er arbeitete, machte Ausstellungen – und sparte wieder. „Und während ich so dahin gespart habe, kam nach einem Jahr ein Brief von der Penland School of Crafts ins Haus geflattert: Die fragten mich tatsächlich, ob ich Gastdozent an ihrer Schule werden wollte! Das war wie ein 6er im Lotto für mich! Unterkunft, Taschengeld, Flug und Mittagessen wurden mir gestellt – und ich musste nicht mehr sparen!“
„Das war für mich dann auch eine weitere Bestätigung, dass ich mein Handwerk so gut beherrsche, dass mich sogar eine Schule zum Unterrichten einlädt!“ Bis 2000 unterrichtete Stern regelmäßig in den USA, Japan und Deutschland. Was ihm dabei immer wieder auffiel: „In Amerika und in Japan achten die Leute in erster Linie auf ihre eigenen Künstler. Erst wenn es denen gut geht, holt man sich Exoten, so wie mich, aus dem Ausland, um von denen dazu zu lernen.“ Im Woid schaue man dagegen darauf, dass man sich mit ausländischen Künstlern schmücke, da halte man sich und die eigenen Künstler klein anstatt sie Besuchern voller Stolz zu präsentieren. „Dabei haben wir so viele gute Leute, die richtig gute Kunst machen!“ Aber vielleicht sei das auch einfach eine Waidlermentalität … sich hinten im Woid zu verstecken.
Ausprobiat: „Wie aus einem Glasrohr eine Kugel wurde …“
Hog’n-Redakteurin Dike Attenbrunner jedenfalls hat seit ihrem neuesten Ausprobiat einen ziemlichen Respekt vor den Glaskünstlern:
„Das sieht so leicht aus! Dabei muss man sich aufs Allerhöchste konzentrieren! Das fängt schon mit dem Erhitzen des Glases an, denn das Glas muss rundherum im Feuer gedreht werden, damit alles gleichmäßig heiß wird. Dazu hält man das Glasrohr an beiden Enden fest und die Mitte des Rohrs in die Flamme. Die Ellbogen stützt man auf dem Tisch auf, damit sich das Glas immer an der gleichen Stelle im Feuer befindet.
In dem Moment, in dem man denkt: Naja, ist ja gar nicht so dramatisch, wird das Glas plötzlich weich und unglaublich schwer! Wenn man dann nicht die Position beibehält – und stattdessen das Glas zusammendrückt oder daran zieht, ist alles schon verformt! Bei einer Temperatur von 800 bis 900 Grad Celsius gilt es, das Glas schnell aus dem Feuer zu nehmen und in ein Ende des Rohres so hineinzublasen, dass das Glas die gewünschte Form erhält.
Fünf Minuten „glasern“ und ich bin kaputt …
Das Überraschende: Ich muss gar nicht so stark blasen, damit sich das Glas ausdehnt. Eigentlich wäre das auch der typische Anfangsfehler, meint Stern. Voller Stolz halte ich mein Glasrohr wieder in die Flamme, für eine weitere Verformung muss es erneut erhitzt werden. Komischerweise ist das Glas an den beiden Rohrenden gar nicht heiß, auch die Flamme, vor der ich zugegebenermaßen etwas Angst hatte, stört mich nicht mehr.
Aber vielleicht liegt das ja auch an der schicken Schutzbrille? Als das Glas wieder weich wird, nehme ich es aus der Flamme – und blase ein weiteres Mal ins Rohr hinein. Dann schneidet Stern auch schon die beiden Rohrenden ab, legt das Ergebnis zum Abkühlen auf ein Tuch – und fertig ist mein Werk: Na, wer erkennt’s?
Ich muss schon sagen: Obwohl ich gerade mal fünf Minuten „geglasert“ habe, bin ich ziemlich kaputt. Man muss hochkonzentriert sein, darf seine Position nicht verändern – und muss zur rechten Zeit die richtige Puste parat haben. „Gerade wegen der hohen Konzentration und dem zerbrechlichen Material zieht es mich auch immer mal wieder zur Holzbildhauerei“, sagt Stern.
Das Ergebnis kann man auf einer Wiese vor Frauenau begutachten. Dort wurden auf dem Grund der Familie Kagerbauer vor ein paar Jahren Bäume umgesägt. „Ich habe das mitgekriegt und die Familie spontan gefragt, ob ich aus dem Holz etwas machen darf. Die Kagerbauers hatten nichts dagegen – und so bin ich mit der Motorsäge angerückt und habe an Ort und Stelle den Seher gemacht.“
„Kunst inmitten der Gesellschaft“ – dann wird Kunst auch anerkannt
Damit hat Stern ungewollt Aufmerksamkeit erregt: „Die Leute sind vorbei gelaufen und haben mir beim Arbeiten zugesehen. Und dann haben sie mich gefragt, was ich da mache, und warum und welche Bedeutung die Figur hat … und ich habe daraufhin gesagt, dass das der Seher ist – und der Seher in Richtung Japan, nach Fukushima zeigt.“
Das war vor zwei Jahren, als der Tsunami das Reaktorunglück auslöste. Mittlerweile hat der Seher eine Familie. „Das sind die Leute, die haben dann gemeint, dass der Seher da doch nicht alleine rumstehen kann, dass der eine Frau und ein Kind braucht. Die bauen dann eine richtige Story drum herum.“ Stern schaut seine Figuren an und lacht über den Einfallsreichtum der Spaziergänger. Er selber interpretiert nicht so viel in seine Kunstwerke hinein – er macht sie einfach.
Mittlerweile ist die Wiese der Kagerbauers jedenfalls zu einem richtigen Forum herangewachsen. Die Künstlerbrüder Karl und Sepp Haller haben dort ebenfalls angefangen, ihre Kunstwerke zu bearbeiten. „Und jeder von uns hat durch diese Ausstellung schon eine Auftragsarbeit bekommen, weil an der exponierten Stelle viele Leute vorbeifahren“, erzählt Stern.
Auch wenn das nicht sein Antrieb gewesen wäre, sei das natürlich ein schöner Nebeneffekt. „Vielleicht muss es ja auch genauso sein“, sagt er, während er nachdenklich die Holzfiguren betrachtet. „Kunst inmitten der Gesellschaft! Damit die Leute sehen, wie wir Künstler arbeiten – und wie viel Mühe so ein Unikat kostet. Wer weiß sind die Menschen mit ihrer Schnäppchengesellschaftsmentalität dann eher dazu bereit, Kunst auch finanziell anzuerkennen!“
Dike Attenbrunner