Spiegelau. Es geht nicht mehr weiter. Rolf (65) Kummer und Uschi Agboka (62) stehen mit ihrer Harley-Davidson vor einem Fluss. Eine Brücke ist weit und breit nicht in Sicht. Und das auch noch Mitten in der Türkei, in einem fremden Land. Endet die Abenteuer-Reise hier? Müssen die beiden umkehren? Nein! Ein aufmerksamer Einheimischer hilft ihnen, er erklärt, dass der Fluss nicht tief ist, dass man ihn einfach so durchqueren kann. „Trotzdem bin ich erst mal zu Fuß durch – sicher ist sicher“, erzählt Rolf Kummer, den viele nur als „Harley-Rolf“ kennen. Egal, wo der 65-Jährige bisher auch war – immer wurde er freundlich empfangen, immer wurde ihm in schwierigen Situationen weitergeholfen.
Und solche hat der Spiegelauer in den vergangenen Jahren einige erlebt. Rund 250.000 Kilometer war er seit 1994 in Europa und in den USA mit seinen Harleys unterwegs. Das Unbekannte, das Abenteuer reizt ihn seit jeher. Zudem hat er ein Faible für Motorräder der Marke Harley-Davidson – er ist geradezu vernarrt in die Kult-Bikes. „Ich fahre einfach gern dieses Motorrad, weil es sehr bequem ist“, erklärt Kummer seine Passion. „Ich bin zwar zügig unterwegs, mache aber ebenso gerne gemütliche Fahrten – und lasse mich auch mal überholen.“ Neben seiner Begeisterung für das Zweirad-Fahren ist der 65-Jährige, der meist mit seiner Lebensgefährtin Uschi auf Tour geht, auch an kulturellen Sachen interessiert. Seine Reisen richten sich nicht nur nach den schönsten Strecken, sondern auch nach sehenswerten Kirchen und anderen Bauwerken. Die suchte Familie Kummer schon früher auf. Damals aber noch mit dem Camping-Bus und mit den beiden Töchtern.
Eine Harley wartet in einer Garage in den USA auf ihren Einsatz
Das Harley-Fieber infizierte den Nachrichtentechnik-Ingenieur erst vollends, nachdem er in den Ruhestand gegangen war. Vorher machte er zwar auch schon kleinere Touren nach Kärnten oder in den Kaukasus, die Weiten und die unendlich scheinenden Straßen der Vereinigten Staaten entdeckte er aber erst später. Seine Leidenschaft für die USA geht mittlerweile soweit, dass eine Zweit-Harley in Übersee in einer Garage steht und den Spiegelauer einmal jährlich über die Straßen der West-Küste trägt. „Das ist einfach billiger wie eine Miet-Maschine“, weiß Kummer.
Spricht er von seinen Touren, gibt er die Entfernungen immer in Meilen an. Spricht er von Kontakten mit US-Amerikanern, ist ein Glitzern in seinen Augen zu sehen. Harley-Rolf ist von der Lebensweise dort, von der Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit der Menschen begeistert. Trotzdem ist die USA nur ein Reiseziel für ihn. „Ich lebe doch ganz gern in Deutschland“ – und in Europa. Erst in diesem Jahr verbrachte er sechs Wochen in den Pyrenäen und schwärmt noch jetzt davon. „Das war ein Motorrad-Paradies, ein Traum.“
Diese einmaligen Erlebnisse teilt der Wahl-Spiegelauer – 2004 ist er von Reutlingen in den Bayerischen Wald gezogen – gern auch mit anderen Leuten. „Wenn einer mit mir mitfahren möchte, soll er sich einfach melden.“ Mit Begleitung versucht der 65-Jährige dann so viele Sehenswürdigkeiten anzusteuern wie nur möglich. Eine neue Geschäftsidee sieht er aber nicht in diesem Angebot – zu sehr genießt er die Freiheit, seitdem er im Ruhestand ist.
Rolf Kummer meidet zudem große Harley-Events: Die sind ihm zu laut. Ist er nicht gerade auf den Straßen unterwegs, verbringt er viel Zeit in seiner Werkstatt. Dann ist Schrauben angesagt. „Was ich selber machen kann, mach ich selber“, sagt er. Das Vorurteil, Harleys seien unzuverlässig, dementiert er vehement. Im Gegenteil. Außer kleinerer „Wehwehchen“ haben seine beiden Harleys bisher jede Tour unbeschadet überstanden. So hat Rolf Kummer nach eigenen Aussagen schon fast ganz Europa abgegrast.
Fünfmal pilgerte der Spiegelauer schon auf dem Jakobsweg
Und das nicht nur auf dem Bike. Denn auch auf den Beinen ist der Spiegelauer gut unterwegs. Einmal jährlich, meist im März, wandert der Naturmensch auf dem Jakobsweg. Seine weiteste Route führte ihn von Sevilla nach Santiago de Compostela. Selbst dicke Blasen an den Füßen und teils grenzwertige Sauberkeit in den Herbergen können den begeisterten Pilger dann nicht aufhalten – fünfmal bewältigte er bereits den bekannten Camino. „Das hat mich schon immer gereizt. Das schöne am Jakobsweg ist die gute Infrastruktur und die Ruhe – daher pilgere ich im März.“ Ähnlich wie bei seinen Harley-Touren trifft Rolf Kummer auch beim Wandern immer wieder auf nette und hilfsbereite Menschen, sieht beeindruckende Landstriche.
„Meine Priorität liegt einfach beim Reisen. Andere haben dafür einen Porsche oder gehen oft Essen.“ Längst sind die Planungen für das kommende Jahr ausgereift: Jakobsweg: muss sein, USA-Trip: muss sein, Iran und Kasachstan: wären ein Traum. Und dann hofft Rolf Kummer wieder auf die ein oder andere positive Überraschung in fremden Ländern.
Deshalb freut sich Harley-Rolf auf seine Reisen
So wie in der Türkei. Auf der Fähre von Gallipoli nach Canakkale lernten Rolf und Uschi einen schwäbisch sprechenden Türken kennen, der in Istanbul lebt – früher aber in Baden-Württemberg wohnte. Er bot den beiden an, für sie in Istanbul ein preisgünstiges Hotel zu suchen, mit Garage für die Harley. „Während unserer vierwöchigen Rundreise rief er alle paar Tage an, um zu fragen, ob wir Hilfe brauchen“, erinnert sich Rolf Kummer. Als er und seine Frau nach Istanbul kamen, sagte der Deutsch-Türke ihnen, dass er nicht in Istanbul sei, die Kummers aber seine Wohnung für einige Tage bewohnen können. „Wir waren total platt und haben das Angebot angenommen. Seine Nichte, die auch in seinem Haus lebte, hat uns einige Tipps in Istanbul gegeben und wir haben dort mehrere Tage eine unvorstellbare Gastfreundschaft genossen.“ Genau deshalb freut sich Harley-Rolf jedes Mal von Neuem auf seine Reisen.
Helmut Weigerstorfer