München. „Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: Sie muss zur Anerkennung führen“, schreibt Johann Wolfgang von Goethe. „Toleranz ist der Verdacht, der andere könnte Recht haben“, sagt Kurt Tucholsky. „Toleranz ist ein Beweis des Misstrauens gegen sein eigenes Ideal“, ist Friedrich Nietzsche der Ansicht. Dass der Begriff Toleranz sehr unterschiedlich aufgefasst wird und Tolerant-sein nicht immer gleich Tolerant-sein bedeutet, wissen wir spätestens seit Silke Burmesters Kolumne „Eine Mauer für Bayern“. Einer, der sich jeden Tag aufs Neue mit dem Thema auseinandersetzt, ist der evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm. Als Sprecher des „Bayerischen Bündnis für Toleranz“, das sich für mehr Demokratie und gegen Rechtsextremismus und Intoleranz einsetzt, nahm er in diesem Jahr den „Preis zur Förderung der Zivilcourage“ der evangelischen Akademie in Tutzing entgegen. Wir haben den 62-Jährigen gefragt: Was bedeutet Toleranz heute? Wo beginnt sie, wo hört sie auf? Und: Wie sieht eine tolerante Welt künftig aus?
„… dass ich sie nicht daran hindere so zu leben, wie sie es wollen …“
Herr Bedford-Strohm: Was bedeutet Toleranz in der heutigen Zeit für Sie persönlich?
Toleranz heißt für mich eine bestimmte Form des Umgangs mit Menschen, gegenüber denen ich zunächst einmal Distanz verspüre. Es bedeutet, dass ich sie nicht daran hindere so zu leben, wie sie es wollen – auch wenn mir ihre Lebensweise oder ihre Auffassungen fremd sind. Toleranz bewährt sich also gegenüber den Menschen, denen ich mich nicht ohnehin schon nahe fühle.
Wo liegen Ihrer Meinung nach die Grenzen der Toleranz? Wo beginnt sie, wo hört sie auf?
Für mich ist eine klare Grenze für Toleranz die Verletzung der Menschenrechte. Wenn durch meine Toleranz anderen Leid angetan werden kann, dann handelt es sich nicht um Toleranz, sondern um Feigheit. Wenn Menschenrechte verletzt werden, gibt es keine Toleranz, sondern dann muss man für die Menschenrechte streiten.
Tun sich die Deutschen bzw. die Bayern generell schwerer in Sachen Toleranz als andere Nationen? Wenn, ja: Warum ist das so?
Ich glaube nicht, dass sie sich schwerer tun. Es gibt auch jetzt nicht wenige Länder, in denen Rassismus und Antisemitismus viel verbreiteter sind als bei uns. Dass unser Bündnis für Toleranz, Menschenwürde und Demokratie in Bayern, dessen Sprecher ich bin, immer mehr Zuspruch findet, zeigt, dass die Bereitschaft bei uns wächst, sich aktiv für diese Werte einzusetzen.
„Religion und Kultur nicht immer nur an den negativsten Erscheinungsformen messen“
Stichwort: Toleranz gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund. Welche Probleme gilt es in diesem Zusammenhang zu lösen?
Das Wichtigste ist, dass wir ihre Religion und Kultur nicht immer nur an ihren negativsten Erscheinungsformen messen, sondern auch ihre Stärken wahrnehmen. Ich bin jedenfalls froh, dass das Christentum nicht mit seinen fundamentalistischen Formen gleichgesetzt wird. Wenn uns heute alle Kriege und Gewaltakte angehängt würden, die im Namen des Christentums in der Geschichte begangen worden sind, dann hätten wir ziemlich schlechte Karten. Deswegen sollten wir auch den Islam nicht mit seinen fundamentalistischen und gewaltfördernden Formen gleichsetzen, sondern uns gemeinsam für ein friedliches Miteinander der Religionen einsetzen.
Sie haben ja in diesem Jahr den Toleranzpreis der Evangelischen Akademie Tutzing für das „Bayerische Bündnis für Toleranz“ entgegen genommen. Welche Bedeutung hat dieser Preis?
Der Preis hat eine sehr hohe Bedeutung für uns. Das Bündnis ist dadurch bekannter geworden. Und es ist bei der Verleihung des Preises in Tutzing für alle spürbar geworden: Ein Geist der Toleranz, der dann auch zum wechselseitigen Kennenlernen und vielleicht sogar irgendwann zur Freundschaft hilft, ermöglicht ein viel erfüllteres Leben als geistige Enge und Abwertung der anderen.
„Dem Anderen seine Art zu leben aus Überzeugung zubilligen“
Ist die Toleranz in den letzten Jahren gesunken oder gestiegen? Woran liegt das?
Wahrscheinlich ist beides richtig. Der Rechtsradikalismus hat seine Aktivitäten verstärkt und findet zum Teil leider bis in die Mitte der Gesellschaft hinein gewisse Sympathien. Gleichzeitig haben sich die Gegenkräfte verstärkt. Und diese kommen eben auch aus der Mitte der Gesellschaft. Deswegen macht mir das immer breiter werdende Bündnis so große Hoffnung.
Eine tolerantere Welt als die momentane: Wie sieht die aus?
Die Menschen leben ihre Traditionen, sie fördern aus diesen Traditionen heraus eine Kultur der Menschenrechte. Die Toleranz, die sie im Verhältnis zueinander üben, entwickelt sich immer mehr weiter und wird zur wechselseitigen Wertschätzung und Bereicherung. Die Menschen merken: Alle leben besser, wenn sie dem Anderen seine Art zu leben aus Überzeugung zubilligen.
Herr Bedford-Strohm: Vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben.
Interview: Stephan Hörhammer