Eigentlich machen es uns die Mannen um Matthew Bellamy einfach: Entweder man liebt oder man hasst sie. Geniale Rock-Oper oder pompöses Operetten-Gesülze eines Weltverbesserers samt chronischem Little-Man-Syndrome. Da scheiden sich die Geister …
Das klappte aber nicht immer so. Im Frühwerk um die Alben „Origin Of Symmetry“ und „Absolution“ war noch recht ehrlicher, kompakter, druckvoller Sound mit unwiderstehlichem Hymnencharakter („Time Is Running Out“, „Stockholm Syndrome“) an der Tagesordnung. Dem konnte man sich mit entsprechender Musikneigung kaum entziehen – der Erfolg war unausweichlich und völlig berechtigt.
Die Single „Madness“ überraschte dann aber Gott sei Dank von A bis Z
Schon das nächste Werk „Black Holes And Celebrations“ zeigte den Beginn einer Entwicklung, die nun bei „The 2nd Law“ seine konsequente Fortsetzung findet. Die musikalisch höchstbegabten Engländer erforschten mit unzerstörbarem Selbstbewusstsein die Grenzen des technisch Machbarem – schneller, höher, weiter. „Knights Of Cydonia“ vereinte eine Over-The-Top-Hymne mit fast schon schmerzhaft plakativen Textpassagen („No One’s Gonna Take Us Alive“ – auwehzwick). Der Gipfel war dann spätestens auf “Resistance” erreicht, das mit einer dreiteiligen Symphonie (Laufzeit > 10 Minuten) endete. Samt der Holzhammer-Lyrics („United States Of Eurasia“) wurden trotz der weiterhin unbestreitbaren musikalischen Klasse die Belastbarkeitsgrenzen von Nicht-Musical-Fans ausgiebig auf die Probe gestellt. Hmmmmm …
Als nun pünktlich zu den olympischen Spielen die erste Auskoppelung „Survival“ auftauchte, lag die Befürchtung leider nahe, dass dieses Großereignis die Musiker zum überschreiten der Ppomp-Schmerzgrenze herausgefordert haben könnte. Und die ersten Durchläufe ließen nichts Gutes ahnen. Also: Lieber durchschnaufen und abwarten bis zum Album. Die nächste Single „Madness“ überraschte dann aber Gott sei Dank von A bis Z. Ein ungewohnt reduzierter elektronischer Sound, der nur noch wenig mit dem Frühwerk zu tun hat. Die Neugier und Vorfreude waren wieder zurück. Mehr Radiohead als Rocky-Horror-Picture-Show. Nach diesem Auf und Ab nun das Resultat: ein extrem abwechslungsreiches Album, das bis auf einen etwas müderen Mittelteil („Explorers“, „Save Me“) vollends überzeugt.
Zwar machen’s die Jungs wohl nicht mehr ohne mehrteiliges Werk mit übergroßer Message („Unsustainable“), diesmal zum unausweichlichen Thema Energiewende. Aber alles wirkt wieder konzentrierter, knapper, drängender. Der Opener „Supremacy“ ist klassiches Muse-Rock-Gewitter im besten Sinne – „Panic Station“ zieht ebenso erfreulich schwungvoll wie zu Zeiten von „Absolution“ vom Leder.
Gelungenste Gratwanderung zwischen Genie und Wahnsinn seit Queen
Dazwischen liegt mein als absolutes Highlight „Madness“, das ich beim Hören des 30-Sekunden-Trailers noch als Abschreckung empfunden hatte. Auch hier wird man für längeres Zuhören und ausreichend Geduld belohnt. Selbst „Survival“ wirkt im Gesamtkontext mit dem Vorspiel „Prelude“ sinniger als befürchtet. Was schert mich meine Meinung von gestern …
Sicherlich hat Matthew Bellamy den Falsett-Gesang in bester Prince-Manier immer mehr zum Markenzeichen ausgebaut – solange es aber den Songs noch dient, kann ich damit leben (was Herrn Bellamy sicherlich freuen wird!). Wenn der Multi-Instrumentalist aber wie in „Madness“ das beste Brian-May-ohne-Brian-May-Solo anstimmt, dann ist alles wieder stimmig und bestechend. Seit Queen kann ich mich nicht mehr an eine solch gelungene Gratwanderung zwischen Genie und Wahnsinn erinnern (Prince mal ausgenommen) – gerade der gute Freddie würde sicherlich die eine oder andere Freudenträne beim Hören verdrücken.
Daher: Gebt der Platte eine Chance! Ihr werdet es spätestens ab dem dritten/vierten Durchlauf nicht bereuen!
Josef Massinger
Klasse Kritik! Der vergleich mit Queen trifft auf jeden fall zu, seit the resistance erinnern immer wieder Stücke und Passagen an Freddie und Brian…Innovation und Anspruch in der Musik schaffen Muse immer wieder, auch wenns beim ersten hören seltsam klingt, jedes Album hat seinen eigenen Charakter und dennoch zieht sich ein Stil durch jedes Werk der eindeutig ist.
Danke, Chris! Freut mich, dass es Dir gefallen hat.
Hab mich mittlerweile auch wieder in den letzten Alben vertieft – und die Entwicklung ist eigentlich klar zu sehen.
Gerade „Live“ ist einem dann manch pathetischer Text eh egal – bin schon gespannt auf die Show in der Olympiahalle im November …