Jandelsbrunn/Wollaberg. Martin Zoidl aus Wollaberg ist ein Sturmjäger. Wenn andere sich in ihren Häusern verkriechen, die Rollos runterlassen und die Gewitterkerze anzünden, springt Zoidl in sein „Chasing Car“ und macht sich auf ins Zentrum des Sturms. Der 22-Jährige ist schon während seiner Schulzeit auf die „Stormchaser„-Szene in den USA gestoßen. Seit einigen Jahren ist er jetzt selbst auf der Jagd nach Stürmen, Gewittern, Blitzen und Wolkenwänden. Als Beute bringt er beeindruckende Bilder und faszinierende Videos mit. Er erzählt vom Kick, „wenn dich die schwarze Wand in Sekundenschnelle verschluckt“, aber auch über den Respekt, den ihm umherfliegende Gegenstände und geknickte Starkstrommasten einflößen.
Martin: Seit wann bist Du als Sturmjäger unterwegs und wie bist Du auf dieses „Hobby“, wen man es so nennen darf, gekommen?
Ich bin seit meiner Kindheit generell ein Mensch, der sich für Vorgänge und physikalische Gesetzmäßigkeiten in der Natur interessiert. In der Schule musste ich dann ein Referat über das Thema Wetter halten – und bin dabei auf die sogenannten Stormchaser, zu deutsch: Sturmjäger, in den USA gestoßen, die mit ihren selbstgebauten „Panzern“ den Stürmen und Tornados hinterherjagen.
„Fliegende Gegenstände können gefährlich werden“
Und da es schwere Unwetter nicht nur dort drüben, jenseits des Atlantiks gibt, dachte ich mir, dass es sowas wie Sturmjäger bestimmt auch bei uns geben könnte. Vor wenigen Jahren war das Thema Unwetter in Deutschland noch nicht so tagesaktuell wie heute. Dementsprechend war die Community hierzulande noch recht klein. Mittlerweile sind wir aber viele 100 Leute über ganz Deutschland verteilt, die dieses Hobby aktiv ausüben.
Was macht Dir dabei am meisten Spaß?
Gewitterjägerei – das ist mehr als bloßes Fotografieren von dunklen Wolken mit ein paar elektrischen Entladungen als Beilage. Du stehst da draußen auf dem Feld, siehst zunächst nur den unscheinbaren „Anvil“ der Zelle, die Ambosswolke aufziehen, bevor die Stimmung zunehmend düsterer wird und sich eine bedrohliche Kulisse aufbaut. Das, was ich mache, kann man fast schon als eine Art Extremsport bezeichnen, da auch viel Adrenalin mit im Spiel ist – vor allem bei brisanten Unwetterlagen, bei denen es oft brenzlig werden kann. Ich vergleiche das gern mit einem gut geschriebenen Roman, in dem sich langsam eine Spannungskurve aufbaut, die dann ihren Höhepunkt erreicht, wenn dich die schwarze Wand in Sekundenschnelle verschluckt.
Sturmjäger, das hört sich gefährlich an. War es schon mal so richtig gefährlich bei einer Deiner Jagden?
So richtig in Gefahr habe ich mich Dank meiner Erfahrung und Vorsicht bisher noch nicht gebracht. Aber es gibt Momente im Leben eines Chasers, die einen schon aufschrecken lassen. Wenn du denkst, in sicherer Entfernung zum elektrischen Teil des Gewitters zu stehen und plötzlich hauen 200 Meter neben dir 10.000 Volt in den Boden, verkriechst du dich gerne wieder zurück ins sichere Auto. Vor allem dann, wenn es direkt über dir ist, können auch umherfliegende Gegenstände gefährlich werden. Alles schon gehabt.
„Blitze zuckten wie Disco-Stroboskope, Masten waren umgeknickt“
Was war bisher Dein krassester Einsatz?
Ich erinnere mich an die letzte Saison: Es war der 13. Juli 2011, ein zunächst recht unscheinbarer Tag. Die Parameter auf meinen Wetterkarten zeigten maximale Werte für Unwetter an, obwohl es draußen eher diesig war und teilweise sogar kalte Regentropfen vom Himmel fielen.
Als die Luftmasse dann am Mittag durch eine subtropische ersetzt wurde, änderte sich das schlagartig. Über der Münchner Region bildete sich eine HP-Superzelle (HP steht für High Precipitation, heißt so viel wie sehr niederschlagsintensiv – Anm. d. Red.), die giftigste Gewitterart überhaupt. Die Zelle war sehr schnell unterwegs in Richtung Bayerischer Wald – und ich habe gehofft, sie nach der Arbeit abpassen zu können, wenn ich auf der A3 auf sie warte.
Die Daten, die das Unwetter lieferte, haben mich bereits im Vorfeld darin bestärkt, nicht direkt hineinzufahren. Ich hatte mich daher in etwa bei Straubing platziert und habe das Monster östlich an mir vorbei ziehen lassen, trotz der Distanz von gut 20 Kilometern war aber immer noch die Gewalt des Gewitters zu spüren. Die Blitze zuckten wie ein Disco-Stroboskop, Dauergegrummel, im Kern der Zelle wütete der F2-Tornado, den man aber nicht sehen konnte, weil die Regenwand davor war. Als ich dem Sturm im Anschluss in sicherem Abstnd folgte, wurde erst das gesamte Ausmaß der Zerstörung deutlich. Stählerne Strommasten waren umgeknickt, Bäume lagen reihenweise über den Straßen – und dann waren da noch die weinenden Frauen am Straßenrand, die mir in Erinnerung geblieben sind. Gewitter schön und gut, aber: in die Millionenschäden muss es nicht unbedingt gehen.
Ich würde es nicht unbedingt Stolz nennen. Freilich freut man sich, wenn einem ein seltenes Spektakel vor die Kameralinse gerät. Da kommst du gerne mal ins Schwärmen. Wir halten zum Saisonabschluss im Herbst immer ein Treffen in München ab, bei dem wir unsere Erfahrungen austauschen. Da prahlt man gerne mal mit seinen Schmuckstücken, die man das ganze Jahr über so verfolgt hat. In der nun zu Ende gehenden Saison sind dies z. B. der Tornadoansatz vom 28. Mai, der Hagelsturm vom 31. Mai (siehe Video) und die tolle Gewitternacht vom 6. Juli. Ich finde aber, dass jedes Ereignis eine Schönheit für sich ist.
Dreharbeiten mit BR-Team – Bilder von Zoidl im ARD-Wetter
Du hast mit www.gewitterhimmel.de eine eigene Internetseite zu dem Thema ins Netz gestellt. Wie groß ist der Andrang dort?
Die Seite ist im Verhältnis zu Internetauftritten anderer Sturmjäger noch relativ jung. Ich habe sie Anfang 2012 online gestellt. Es dauerte eine Weile, bis ich mir in der Szene einen Namen gemacht habe – aber jeder fängt mal klein an. Nachdem es anfangs nur wenige 100 Besucher im Monat waren, sind es mittlerweile über 10.000 im selben Zeitraum. Dies hängt aber natürlich auch stark von der Jahreszeit ab, da es im Winter kaum etwas über den Gewitterhimmel zu berichten gibt.
Gibt es auch Rückmeldungen? Wer schaut sich die Bilder/Videos an?
Zunächst zeigt man die Fotos logischerweise nur auf seiner eigenen Seite und in einschlägigen Internet-Foren. Mit der Zeit aber kamen dann auch Anfragen von Medien. Letztes Jahr im Sommer war ich mit zwei Freunden in einer Sonntagsshow von Antenne Bayern zu Gast. Nach Orkan Andrea standen Dreharbeiten für die Sendung „Bayern Tour“ im Bayersichen Fernsehen an, die übrigens aus unserem schönen Neureichenau gesendet wurde. Daneben gibt es hin und wieder Fotos von mir im ARD-Wetter zu sehen. Und wenn Nachrichtensender nach Videomaterial zu Unwettern fragen, sage ich auch nicht nein.
Wie groß ist die Stormchaser-Community im Landkreis FRG/im Bayerischen Wald/in Niederbayern?
Mit dem Wetter an sich beschäftigen sich mehrere – das sind aber überwiegend Hobbymeteorologen, die zu Hause eine private Wetterstation betreiben und ihre Daten ins Netz stellen. Wir haben uns in Deutschland mehr oder weniger die Reviere aufgeteilt, auch aufgrund der Distanzen. Gewitter in Berlin interessieren mich nicht. Niederbayernweit flächendeckend aktiv bin aber eigentlich nur ich. Vielleicht habe ich jedoch auch bloß noch von keinem anderen gehört …
„Das letzte Gewitter wird das sein, dessen Blitz mich trifft“
Was wäre Dein Stormchaser-Traum? Ein Tornado in FRG? Ein top-ausgestattetes Chasing Car? Ein Trip in die USA zur Hurrikan-Saison?
Ohne jetzt laut nach Zerstörung zu schreien: Natürlich ist ein Tornado das spektakulärste, was sich aus einem Gewitter herausholen lässt – da gibt es keinen Zweifel. Einen schwachen F0-Tornado habe ich vor mehreren Jahren drüben am Dreisessel verfolgen können, leider noch ohne Kamera. Ich war damals noch ein kleiner Bub und wusste nicht, was ein Sturmjäger überhaupt ist. Oder 2001, als in Büchlberg ein Tornado ganze Dächer abgedeckt hatte. Zur technischen Ausrüstung: Mir reichen mein Toyota, meine Canon und mein iPhone mit den vorhandenen Apps völlig aus, damit ich das bekomme, was ich will. Ein dreifach verstärkter Sturmpanzer, wie ihn meine US-amerikanischen Kollegen in der Fahrzeugflotte haben, wird mir auch zu keinen anderen Aufnahmen verhelfen.
Wann ist bei uns die beste Zeit um Stürme zu jagen? Gibt es bestimmte Gegenden, wo sich Stürme besonders gut jagen lassen?
Sobald die Sonne im nächsten Frühjahr wieder mehr Kraft hat und die Atmosphäre labiler wird, geht es wieder los in der Wetterküche. Generell liegt der Zeitraum, in dem die stärksten Gewitter auftreten, zwischen Spätfrühling und Hochsommer. Ende August, Anfang September ist es zwar noch ausreichend warm in Mitteleuropa, da die nordatlantische Frontalzone aber allmählich wieder in Fahrt kommt, entstehen weniger Gewitter als viel mehr die klassischen Herbst- und Winterstürme. Da gibt es allerdings nichts zu fotografieren: Graue Wolken und bloßer Wind sind nicht spannend.
Wie lange willst Du Stürme jagen? Glaubst Du, dass es einen Punkt gibt, an dem man alles gesehen hat?
Da jedes Gewitter anders ist und immer wieder eine neue Herausforderung darstellt, hoffentlich noch sehr, sehr lange. Auf diese Frage antworte ich immer scherzhaft: Das letzte Gewitter wird wohl das sein, dessen Blitz mich trifft.
Interview: Christian Luckner