Paris/Berlin. Nils Aguilar, Jahrgang 1980, ist Magister der Soziologie und politischen Philosophie. Er arbeitet als Dokumentarfilmer (milpafilms) in Paris und Berlin. Seine derzeitigen Themenschwerpunkte sind gesellschaftliche Transformationsprozesse, Transition Towns und Agrarökologie. Aus Liebe zur Natur hat er fünf Jahre lang an dem Film „Voices of Transition“ gearbeitet, der am 16. Oktober 2012, dem Welternährungstag, in die Kinos kommt.
„… oder zum Duft frischer Erde“
Nils, wie bist Du auf die Idee gekommen, diesen Film zu drehen?
Ich hatte von klein auf einen stark emotionalen Bezug zur Landwirtschaft. Wenn man von naturliebenden Eltern in einer kleinen grünen Universitätsstadt inmitten von Weinbergen und Streuobstwiesen aufgezogen wird, dann kommt man nicht umhin eine gewisse Sensibilität für die Natur zu entwickeln, die man durchaus auch „romantisch“ nennen darf.
Wenn man in einem so gesunden sozialen Kontext aufwächst, merkt man eines Tages beim Erleben weniger privilegierter Orte, dass die Art, wie schlecht oder wie gut wir mit unseren Mitmenschen umgehen, eng zusammenhängt mit der Art, wie wir unsere Landschaften pflegen.
Stark simplifiziert könnte man sagen, dass die Erosion unserer Kulturen und die Erosion unserer Böden fast immer Hand in Hand gehen. Jemand mit einer gewissen naturverbundenen Sensibilität wird beim Anblick von Monokulturwüsten sich viel eher in seinem ästhetischen Empfinden frustriert fühlen, als jemand, der in einer Großstadt aufgewachsen ist und nie einen emotionalen Bezug zu einer Prärie im Morgentau herstellen konnte – oder zum Duft frischer Erde.
Menschen werden aktiv aufgrund intensiver Naturerfahrungen
Ich schicke das deswegen vorweg, weil ich es als Soziologe wichtig finde zu erwähnen, dass Aktivismus im Bereich der Nachhaltigkeit und der Ökologie nie aus dem Nichts entsteht, sondern fast immer mit viel intensiver Naturerfahrung in der Kindheit zusammenhängt: Diese müssten wir viel mehr fördern, wenn wir künftig weitere engagierte Generationen haben wollen.
Jedenfalls hatte ich vor sieben Jahren, nach der Lektüre eines Buches des genialen französischen Bodenkundlers Claude Bourguignon, die Idee zu diesem Dokumentarfilm. Dieser sollte, im Gegensatz zu den vielen anklagenden Filmen zu dem Thema der industrialisierten Landwirtschaft, über das Aufzeigen von positiven Lösungswegen zum Handeln inspirieren. Die Verschriftlichung der Idee und das Suchen erster Finanzierungsquellen habe ich dann parallel zu meinem ohnehin schon sehr arbeitsintensiven Soziologiestudium gestemmt.
Dampfwalze, die Dörfer in Argentinien dem Erdboden gleichmacht
Gab es einen besonderen Auslöser für „Voices of Transition“?
2005 hatte ich auf einer längeren Argentinienreise ein Schlüsselerlebnis: Ich bin mit einer Gruppe von Videoaktivisten in eine Zuckerrohr produzierende Region gereist, wo wir lokale Proteste gegen die Verbrechen großer Agrarkonzerne filmisch festhalten wollten. So kamen wir schließlich auch in Kontakt mit Indigenen, die aus ihren Wäldern vertrieben worden waren. Ihre Dörfer waren mit einer Walze dem Erdboden gleichgemacht worden, ihr Protest von Schlägertrupps mit Keulen zum Verstummen gebracht. Diese Erfahrung hat mich sehr tief getroffen. Für mich war diese Dampfwalze eine Metapher des heutigen ökonomischen Systems, wie es, sinnentleert, die Zerstörung hunderter Existenzen in Kauf nimmt, zugunsten des Profits Einzelner. Nach diesem Erlebnis wollte ich so viele Menschen wie möglich auf Wege zu einer gerechteren Land- und Ressourcenverteilung aufmerksam machen – und kam zu dem Entschluss, dass sich das Medium Film dazu am besten eignet.
Worum geht es in Deinem Film?
„Voices of Transition“ ist ein Mut machender, inspirierender Dokumentarfilm, der Menschen dazu bewegen soll aktiv zu werden und sich zu überlegen, wie sie sich selbst einen Wandel für eine sozial und ökologisch gerechtere Gesellschaft vorstellen. Der Film wurde in Kuba, Frankreich und England gedreht und zeigt dem Zuschauer anhand zahlreicher Beispiele, wie sich Menschen organisieren, um dem Klimawandel, der Ressourcenverknappung und den drohenden Hungersnöten mit radikal neuen Wegen zu begegnen. Es kommen Agrarwissenschaftler, Landwirte, aber auch einfache Bürgerinnen und Bürger zu Wort, die sich alle das Ziel gesetzt haben, mit ihren kreativen Ideen und in gemeinschaftlicher Arbeit einen positiven Wandel herbeizuführen.
Gemüse anbauen, Bäume pflanzen, Lebensmittel beim Bauern kaufen
Es geht im Grunde genommen um das Aufzeigen einfach nachzuahmender Beispiele, wie man etwa in seinem eigenen Garten Gemüse anbaut, seinem Nachbarn im Garten hilft Bäume zu pflanzen, oder etwa die Lebensmittel wieder direkt beim lokalen Bauern zu kaufen.
Ein großer Teil des Films zeigt die in England gegründete Transition-Town-Bewegung, die sich dafür einsetzt, dass Menschen sich in ihren Nachbarschaften wieder öfter treffen und gemeinschaftlich Wege diskutieren, um ein lokaleres und nachhaltiges Nahrungsmittelsystem zu gründen, das weder die Natur und die Menschen in weit entfernten Regionen ausbeutet, noch sinnlos Unmengen an Energie verschleudert, weil unser Obst und Gemüse über die halbe Welt transportiert wird.
Unser Nahrungsmittelproduktionssystem zu lokalisieren ist dabei nur die erste Etappe des Wandels: Auch die anderen Domänen unseres Zusammenlebens müssen radikal umgestaltet werden, damit Kreisläufe intelligent und effizient ineinander greifen können. Die Schlüsselbegriffe für diese Transformation heißen Dezentralisierung, Diversität, Kooperation und freie Wissensverbreitung. Zentral ist, dass durch neue Lebenspraktiken auch ein Wertewandel angestoßen wird: Hin zu einer Gesellschaft, in der gemeinschaftliches Tauschen, Teilen und Unterstützen sich im Alltag verankern und die Lebensqualität aller verbessern.
La Havana versorgt sich bis zu 70 % selbst mit Obst und Gemüse
Wie so ein Wertewandel aussehen kann, zeigt „Voices of Transition“ anhand des Beispiels Kuba. Denn die Stadt La Havanna lebt uns vor wie sich auch die städtische Bevölkerung größtenteils selbst ernähren kann: Die Bewohner La Havannas versorgen sich bis zu 70 Prozent selbst mit Obst und Gemüse – über gemeinschaftliche Gemüse- und Obstkooperativen. Durch kurze Transportwege bleibt das Obst und Gemüse frisch, es ist günstiger, weil es direkt von den Kooperativen gekauft wird und die Umwelt wird durch den biologischen Anbau und die kurze Wege geschont.
Wieso fällt es den Menschen so schwer, das eigene Verhalten zu ändern und sich mehr für sich, andere und die Umwelt einzusetzen?
Ich glaube grundsätzlich – und das tut beispielsweise die Transition-Town-Bewegung -, dass man die Menschen dort abholen muss, wo sie stehen. Wenn man versucht Alkoholiker zu verstehen, entwickelt man auch ein besseres Verständnis dafür, weshalb es so mühsam ist vom Wort zur Tat zu schreiten, wenn man sich von komfortablen, durch Erdöl, Ideologie und alte Leitbilder gestützten Handlungsmustern loseisen will. So fällt es uns dann auch leichter, die Menschen dort abzuholen, wo sie sich gerade befinden, um sie tolerant und mit mehr Einfühlungsvermögen ins Boot zu holen.
Als Einzelner kann ich nichts ändern – konkrete Projekte sind wichtig
Häufig fühlt sich der moderne Mensch auch einfach überfordert von all den Schreckensnachrichten in den Medien und fühlt sich als kleiner, einzelner Bürger total ohnmächtig und gewinnt nicht selten die Überzeugung, der Einzelne könne sowieso nichts ändern. Deshalb erachte ich es als sehr wichtig, gemeinschaftlich vor Ort Projekte zu realisieren, bei denen jeder Beteiligte spürt, dass durch sein Handeln etwas passiert. Sowas inspiriert uns Menschen – und wenn man sich auch nur einmal wöchentlich trifft, um zusammen in einem Gemeinschaftsgarten zu arbeiten!
Wie lange hat es gedauert, bis der Film fertig war?
Im Grunde genommen ist er immer noch nicht ganz fertig (lacht) … Wir haben bereits elf verschiedene Untertitel, unter anderem auf Französisch, Niederländisch und Portugiesisch, damit so viele Menschen wie möglich den Film verstehen können. Momentan arbeiten wir in einem letzten Produktionsschritt an einem deutschen Voice-Over. Das heißt: Eine deutsche Stimme wird über die Originalstimmen gelegt. Das bedeutet zwar zusätzliche Arbeit, war uns aber wichtig, weil die Aussagen der Protagonisten viel besser verstanden werden, wenn man nicht parallel die Untertitel lesen muss … zum Glück haben wir in Berlin ein Tonstudio gefunden, dass sich für unser Projekt begeistern konnte und seine Dienste kostenlos anbietet. Nicht zu vergessen die professionellen Synchronsprecher, die für ein kleines symbolisches Gehalt für das Projekt arbeiten.
„Voices of Transition“ war lange Zeit ein Ein-Mann-Projekt
Ich arbeite nun seit fünf Jahren an dem Film, da ich im Filmemachen Autodidakt bin. Und weil nur wenige Profis punktuell mitgearbeitet haben, hat es umso länger gedauert, bis das Projekt aus den Kinderschuhen raus war. Mein Film war viel zu lange ein Ein-Mann-Projekt. Ich habe so viel wie zwanzig Personen gearbeitet und hatte zwanzig verschiedene Rollen. So habe ich ironischerweise eben nicht auf die gemeinschaftliche Arbeit gesetzt, die ich doch so gerne preise! Als Einzelkämpfer habe ich niemals dieselbe Kraft und Dynamik wie jemand, der in einem Team eingebunden ist, das einen stützt.
Ursprünglich hatte ich einen Co-Regisseur im Boot, aber der hat irgendwann aufgegeben, weil er nicht wirklich daran geglaubt hat. Ich habe lange gedacht, dass ich das Projekt auch als fachfremder Autodidakt problemlos meistern kann. Diese Annahme hat sich jedoch als falsch erwiesen. Ab dem Moment bin ich alleine von einer Durststrecke zur nächsten gewankt, musste mir mit viel Schweiß und Tränen immer neue Methoden und Programme selbst aneignen. Jetzt ist der Film jedoch endlich so gut wie fertig, und er wird am Welternährungstag, dem 16.Oktober 2012, in Deutschland einen „Bundeskinostart“ erleben.
Wie wurde der Film finanziert?
Er wurde zunächst über zwei französische Stipendien finanziert und einem Unterstützer-Appell im Netz. Nach kurzer Zeit habe ich jedoch festgestellt, dass mein Budget für das viele Reisen, das Kameraequipment und die zu bezahlenden Profis, die ich zur Realisierung des Projekts benötigte, viel zu klein war. Ich habe aus dem Koffer gelebt sowie mit dem Laptop auf den Knien im eigenen Bett gearbeitet, statt an einem korrekten Arbeitsplatz. So handelt man sich das Problem ein, dass man nicht mehr zwischen der Arbeit und dem Privatleben trennen kann, der Film sich in die Träume einmischt und man so im Schlaf weiterarbeitet … wenn man überhaupt zum Schlafen kommt. Das fühlt sich genauso übel an wie es sich anhört! Es war daher auch gesundheitlich ein sehr großes Opfer, das ich geleistet habe. Nun soll mir und dem Leser aber die wichtige Lektion daraus ewig erhalten bleiben: Ein Team sich gegenseitig vertrauender Freunde ist die einzige Voraussetzung, um ein geniales, in dieser Gesellschaft aber viel zu oft ignoriertes Wundermittel nutzen zu können: Synergie!
Bis heute versuche ich deshalb mit einem kleinen ehrenamtlichen Team die zu deckenden Kosten für die Postproduktion über Fördermittel und einem Crowdfunding-Projekt einzuwerben. Wir freuen uns über jeden, der uns mit einem kleinen Beitrag unterstützen kann.
Bereits mehr als 100 Vorpremieren und auf einigen Festivals vertreten
Wie wird der Film bislang angenommen?
Sehr gut. Er hatte bereits im letzten Jahr mehr als 100 Vorpremieren und war auf einigen Festivals zu sehen. In Lüttich und Bonn waren die Kinosäle ausverkauft und in einigen europäischen Städten haben sich bei einer anschließenden Diskussion sogar neue Transition-Town-Bewegungen gegründet. Ich glaube, genau das sind die Ereignisse, die mir das Gefühl geben, dass sich die ganzen Mühen gelohnt haben.
Wann würdest Du sagen: Ja, der Film hat etwas bewegt?
Ich glaube der Film hat schon etwas bewirkt. Vor allem habe ich vieles über mich und meine Grenzen erfahren (lacht). Für mich hat der Film aber tatsächlich etwas bewirkt, wenn der Zuschauer mit einem positiven Gefühl aus dem Kino geht und Lust bekommen hat, zusammen mit seinen Nachbarn, Kollegen oder seiner Familie aktiv zu werden … dazu soll der Film ermutigen, dass man erkennt, dass JEDER etwas für sich, die Welt und andere tun kann – und vor allem, dass es wahnsinnig viel Spaß machen kann.
Hierzu möchte ich gerne ein Zitat aus dem Film verwenden, das von Rob Hopkins stammt, einem der Gründer der weltweiten Transition-Bewegung:
„Wenn Du Dir immer denkst Es wird eh nicht besser werden! und Dir unsere jetzige Welt als Gipfelpunkt der Zivilisation vorkommt, dann wird Dir die Vorstellung einer besseren Welt sehr schwer fallen. Die Transitioninitiativen aber sagen: Eigentlich könnte das Leben fantastisch sein! Wir könnten mehr Zeit haben, mehr entspannen, unsere Hände für kreative, nützliche Aktivitäten nutzen. Wir hätten weniger Schulden, mehr Zeit zum Spielen und zum Feiern des Lebens!“
Interview: Lotte Heerschop, Dike Attenbrunner
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