Freyung/Würzburg. Der Würzburger Jazzmusiker Stefan Degner kommt aus Freyung. Viele Freyunger kennen ihn noch von der Band Shyke. Im Hog’n-Interview verrät er, wie er die Liebe zur Jazzgitarre entdeckte, warum er den „Westcoast Jazz“ der fünfziger Jahre mag und was ihn immer mal wieder in den Bayerischen Wald zurückzieht.
Stefan, Du bist gebürtiger Freyunger. Nach eigenen Angaben hast Du damals, als Teenager am Freyunger Gymnasium, die Liebe zur Rockgitarre entdeckt. Wie kam‘s?
Das Freyunger Gymnasium hat damit eigentlich nichts zu tun. Ich war halt gerade auf dem Gymnasium wie ich begonnen hab mich für Musik zu interessieren – das war Zufall, da das Interesse für Rockmusik meistens in der Pubertät kommt. Aber eine Förderung junger Rockmusiker gab‘s damals am Gymnasium zumindest für mich nicht. Ich hatte mal eine 5 in Musik im Zeugnis und die Musiklehrerin, die mich damals unterrichtete, hat, als sie mich nach dem Abi mal wieder gesehen hat, aus 10 Meter Entfernung ein Kreuzzeichen gemacht. Zur Rockmusik bin ich gekommen als ich eine „Status Quo“-Platte in die Finger bekam. Da war ich glaub ich 13. Und das wollte ich nicht nur hören, sondern auch unbedingt selber spielen. Dann hab ich mein Taschengeld zusammengespart und von meinem Cousin eine gebrauchte E-Gitarre gekauft. Von da an war das Gitarrespielen meine liebste Beschäftigung. Vielleicht hat das Freyunger Gymnasium doch was mit meiner Liebe zur Musik zu tun: Man kann sich prima auf der E-Gitarre abreagieren.
„Hätte viel lernen können, wenn ich früher mehr gecovert hätte“
Waren Deine ersten Bands in dieser Zeit Coverbands oder hast Du von Anfang an Deine eigene Musik gemacht?
Aus heutiger Sicht muss ich sagen, dass ich viel zu früh damit angefangen hab, eigene Stücke für meine Bands zu schreiben. In meinen Bands war das Covern – also das eins zu eins Nachspielen von Musik – irgendwie verpönt. Aber ich hätte echt viel lernen können, wenn ich damals mehr gecovert hätte.
Bis zum Jazzmusiker hat es ja ein wenig gedauert … nach dem Abitur hast Du erst einmal Diplom-Pädagogik in Regensburg studiert. Unentschlossenheit oder war „Pädagoge“ der vermeintliche Traumjob?
Nein, ich hab nie darüber nachgedacht, als was man als Pädagoge denn arbeitet. Das Studium war zum einen Zufall, weil ich für das angestrebte Studium der Musiktherapie keinen Studienplatz bekommen hab. Und zum anderen habe ich mich für die Inhalte des Studiums interessiert. Ob ich mal als Pädagoge arbeiten möchte, hab ich mir damals, glaube ich, nie überlegt. Aber mich hat interessiert wie Lernen funktioniert – ich habe dann am Schluss meines Studiums auch eine empirische Diplomarbeit über Expertiseerwerb bei Jazzgitarristen geschrieben. Da habe ich viele Profis interviewt und gekuckt wann, wieviel und was die Experten geübt haben.
Prägende Gitarrenlehrer: Elmar Sammer und Helmut Nieberle
Wie kam es während der Studienzeit zum entscheidenden Wechsel von der Rock- zur Jazzgitarre?
Der Wechsel kam eigentlich sehr fließend. Mein Gitarrenlehrer in Freyung, Elmar Sammer, hat mir den Jazz schon etwas nahe gebracht (Elmar Sammer kennt man unter anderem von Landluft – Anm. der Redaktion). Überhaupt hab ich ihm sehr viel zu verdanken. Er hat sich sehr aufopferungsvoll um mich gekümmert, mir sehr viel beigebracht, mir als Erster vorgelebt, dass man Musiker werden kann und mich immens gefördert und motiviert. Dafür, dass doch einige Freyunger Musik studiert haben (wie zum Beispiel Tobias Weber oder Florian Kopp) trägt er die Verantwortung und hat mehr als die Grundsteine dafür gelegt.
Während meines Studiums in Regensburg hab ich dann einige Kommilitonen kennengelernt, die Jazz und Gipsy Swing (die Musik von Django Reinhardt) gespielt haben und da gab‘s dann erste Bands mit denen ich auch nur Jazz gespielt hab. Irgendwann hat mir der Jazz halt dann mehr Spass gemacht als die Rockmusik. Zudem hatte ich dann Unterricht bei Helmut Nieberle – er ist der zweite prägende Lehrer. Helmut hat mir immens viel gezeigt und mich ermuntert, Musik zu studieren. Er ist ein grandioser Gitarrist und hat ein dermaßen tiefes Verständnis und einen liebevollen Umgang mit der Jazz Musik – das war schon beeindruckend.
2002 hast Du dann, mit einem Pädagogik-Diplom in der Tasche, ein weiteres Studium drangehängt und in Würzburg Jazzgitarre studiert. Inwieweit haben Dir da die Erfahrungen aus dem Pädagogik-Studium genutzt?
Wenn man sechs Jahre studiert hat, ist man schon ein bisschen älter und reifer. Das war schon von Vorteil beim Musikstudium. Man bekommt beim Jazzstudium neben Harmonielehreunterricht, Gehörbildung, Tonsatz natürlich Instrumentalunterricht, aber auch viel Combo Unterricht – sozusagen gecoachte Bandproben. Und vor allem bei den letzteren Unterrichtsformen wird einem täglich gesagt was man nicht kann. Und das bezüglich einer Sache, wo so viel Herzblut dranhängt. Diese Kritik stecken viele auch nicht so gut weg und vergessen, dass das der Grund ist, warum man Musik studiert: Man will wissen was man noch nicht kann und wie man das lernt. Wie gesagt, da hat es mir schon geholfen, dass ich schon vorher was studiert hab und dass es auch was Pädagogisches war. Ich glaube, ich hatte meistens die richtige Distanz zum Studium – auch weil ich vorher schon so gute Lehrer hatte. Ich hatte das Glück, dass ich schon einigermaßen Jazz spielen konnte, als ich an die Musikhochschule gekommen bin. Das ist bei vielen nicht so.
Mein Pädagogikstudium hat mir aber auch nach drei Jahren einen Lehrauftrag für Improvisationsdidaktik an der Jazzabteilung der Musikhochschule in Würzburg eingebracht. Dieses Fach und die Unterrichtspraxis unterrichte ich auch jetzt noch an der Musikhochschule.
Am liebsten sind mir „Westcoast Jazz“ und „Gitarrentrio“
Deine stilistische Vorliebe gilt dem „Westcoast Jazz“ der fünfziger Jahre sowie dem „Gitarrentrio“. Kannst Du für unsere Leser kurz beschreiben, was diese Jazzstile ausmacht?
Wescoast Jazz wurde, wie der Name schon sagt, vor allem an der amirikanischen Westküste der 50er Jahre gespielt – also in der Umgebung der Filmstudios in Hollywood Californien. Viele der Musiker dort arbeiteten tagsüber in den Studios und spielten Filmmusik ein – und abends spielten sie ihre eigene Musik in den Clubs. Eines meiner Idole, Barney Kessel, spielte neben unzähligen anderen zum Beispiel beim Sountrack von „Some like it Hot“ mit Marylin Monroe oder auch auf der „Pet Sounds“ von den Beach Boys. Die Westcoast Musiker hatten also gut bezahlte Jobs in den (Film)Studios, eine umfassende musikalische Ausbildung und meistens gutes Wetter. Das führte zu einer lebensbejahenden und fröhlichen Musik. Zudem spielten mehrstimmige und ausgefeilte Arrangements neben der Improvisation eine große Rolle. Ich kann praktisch alle Contemporary oder Pacific (sind beides Labels) Platten aus den 50ern empfehlen. Die Musiker an der Ostküste hatten es nicht so gut. New York war ein rauhes Pflaster und ein Leben von der Musik war viel schwieriger. Die Aufnahmen (vor allem auf Blue Note) sind weniger arrangiert und klingen härter und düsterer.
Eine beliebte Besetzung bei Jazzgitarristen ist das Trio zusammen mit Kontrabass und Schlagzeug. Der erste der das orchestral, abendfüllend und auf fünf Platten (The Poll Winners mit Ray Brown und Shelly Manne) umgesetzt hat ,war Barney Kessel. Das war auch Mitte der 50er Jahre. Damit hab ich mich lange beschäftigt und viel rausgehört, nachgespielt und auch analysiert.
Ich könnte nicht mehr so klingen wie damals…
Wieso bist Du eigentlich nicht bei „Fusion“ (Musikstil aus Jazz, Funk und Rockmusik – Anmerkung der Red.) hängen geblieben? Immerhin kommst Du ja aus der Rockmusik?
Mit der Band Shyke hab ich ja auch bis Ende der Neunziger so was wie Fusion gespielt – vor allem am Schluss. Aber nach und nach hat mir der Jazz immer besser gefallen und ich hab halt das geübt und gespielt was mir gefällt. Mit dem Jazz hab ich auch meine Technik umgestellt, also dickere Saiten, keine E-Gitarren, sondern dicke Jazzgitarren, keine Effekte und keine verzerrten Sounds. Vor allem meine rechte Hand funkioniert jetzt ganz anders als zu der Zeit als ich noch Rock und Fusion gemacht habe. Selbst wenn ich wollte, könnte ich jetzt nicht mehr so klingen wie damals. Man könnte schon sagen, dass ich das Gitarrespielen mit dem Jazz nochmal neu gelernt hab.
Mit Deiner Band „Cool Motion“ zelebriert ihr den „Cool Jazz“, wie ihn die Protagonisten Dave Brubeck, Miles Davis oder das Modern Jazz Quartet entwickelt haben. Eure Nummern sind Euren Angaben zufolge Eigenkompositionen von „eingängigen Melodien, überraschenden Harmoniefolgen und geschickt verwobenen Arrangements“. Müsst ihr Euch manchmal die Frage gefallen lassen, den Jazz nicht weiterzuentwickeln?
Nein, eigentlich noch nie. Ich würde mir auch nie vornehmen, den Jazz weiterzuentwickeln. Ich will die Musik komponieren und spielen, die ich in meinem Kopf höre. Und tatsächlich haben mich, und auch die anderen Bandmitglieder von Cool Motion, der Cool Jazz / Westcoast Jazz (wird oft synonym verwendet) stark beinflusst. Aber da geht’s eher um ein Klangideal oder eine Klangästhetik mit der wir unsere eigenen Kompositionen interpretieren. Wer mal bei einem unserer Konzerte war, der weiß, dass wir modernen Jazz spielen und weder wir noch unsere Musik angestaubt klingt.
Cool Motion: Eine Würzburger Jazz Formation
Deine drei Bandkollegen kommen allesamt aus dem Würzburger Raum. Wie habt Ihr zu einer Band zusammengefunden?
Wir haben alle vier an der Jazzabteilung der Musikhochschule in Würzburg studiert und sind immer mal wieder in verschiedenen Besetzungen aufeinandergetroffen. Da merkt man dann schon, mit wem man besonders gern zusamenspielt und mit wem man harmoniert. Auch haben wir alle Lust, die Kompositionen des jeweils anderen zu spielen und wir proben gerne zusammen.Zudem sind wir alle sehr gut miteinander befreundet und verbringen auch privat viel Zeit miteinander.
Neben Deinen Bandprojekten hast Du auch einen Lehrauftrag an der Würzburger Universität. Wie viel Zeit bleibt da noch fürs Gitarre üben – mal abgesehen von den Bandproben?
Neben meinem Lehrauftrag an der Musikhochschule unterrichte ich auch noch an Musikschulen. Man muss schon konzentriert und zielgerichtet üben. Aber insgesamt komme ich mit drei Tagen (DiMiDo) Unterrichten und Lehrauftrag recht gut über die Runden. Da bleibt genügend Zeit zum Üben, Proben und Spielen.
Wenn sich vier Musiker finden, die sich gegenseitig bereichern
Die Titel auf Eurer CD stammen entweder von Dir, Nadine Winziers (Sax) oder Maximilian Ludwig (Schlagzeug). Wie entsteht denn ein Titel bei Euch? Gibt jemand die Akkordfolge, den Rhythmus oder eine Melodie vor und dann wird improvisiert?
Max komponiert gerne 12 Tonal (erst wenn alle 12 Töne der chromatischen Tonleiter in einer selbstgewählten Reihenfolge verarbeitet wurden, dürfen die Töne wiederum in dergleichen Reihenfolge erneut verwendet werden). Nadine komponiert wie Max auch am Klavier. Nadines Stücke sind etwas poppiger als zum Beispiel meine Stücke. Ihre Kompositionen sind harmonisch ganz anders, sie spielt und arbeitet mit völlig anderen Farben als ich. Die Stücke von Max wiederum haben eher avantgardistische Einflüsse. Meine Stücke beginnen oft mit einem Gedicht (wie beim Poison Tree) – das hilft mir sangbare Melodien zu komponieren. Wir alle haben unsere Kompositionen eigentlich schon fertig, wenn wir damit zur Probe kommen. Über die Akkordfolgen der Stücke gibt’s dann Improvisationen. Oft schreiben wir auch noch zusätzliche auskomponierte Teile – meist zweistimmig für Saxophon und Gitarre. Es ist schon spannend, wenn so unterschiedliche Kompositionstile aufeinandertreffen. Aber bisher ist immer etwas dabei rausgekommen womit der Komponist alleine nicht gerechnet hat. Das ist schon ein Glück, wenn sich vier Musiker finden, die dann eigentlich immer gegenseitig die Kompositionen der Kollegen mit ihrem eigenen Stil bereichern.
Und Euer Bassist Felix Himmler durfte keinen Song beisteuern???
Felix ist ein Wahnsinns-Kotrabassist, aber er komponiert nur für seine Metal Band (Elephant Hawk Moth). Da spielt er dann auch nicht Kontrabass wie bei uns, sondern E-Bass. Wir haben es ihm natürlich nicht verboten für Cool Motion zu komponieren. Auch sind seine Kompositionen recht gut – aber stilistisch dann doch woanders zu Hause.
„It´s Your Delusion“ – der Titel Eures Albums – erinnert von den Harmonien und dem Saxophon her fast etwas an den Jazz-Pop von Sting. Eine wunderschöne Melodie, die einem vorgaukeln soll, es sei alles nur eine Einbildung, Irrtum, Verlockung … Geht es bei dem Lied um Liebe, oder habt Ihr da an etwas ganz anderes gedacht?
Das Stück ist von Nadine und da ich auf diese Frage schon vorbereitet war, habe ich sie mal danach befragt: „It´s your Delusion“ ist musikalisch etwas irreführend: Obwohl es so poppig daherkommt, wurde es doch von den Walzern von Chopin inspiriert. Der Hörer wird von den Klängen der Jazzgitarre und dem swingenden Schlagzeug in die Irre geführt und dazu verleitet, den klassischen Hintergrund der Komposition zu überhören.
„It’s Your Delusion“ – so unterschiedlich wie die Musiker selbst
Konntet Ihr Euch nicht einigen, ob es englische oder deutsche Titel sein sollen oder warum gibt es die in mehr als einer Sprache? Einer heißt sogar „Ju“, das haben wir im Internet nur auf Schwedisch in der Bedeutung „Ja, wie du weißt“ ergoogeln können …
„Ju“ ist nur ein Wortlaut, angelehnt an das englische „you“. Ich wusste nicht, dass es im Schwedischen eine Bedeutung hat. Meine Angst war immer, dass jemand auf die Idee kommen könnte, es habe was mit den kleinen CSU-lern zu tun. Das ist nämlich definitv nicht der Fall. Eigentlich haben wir gar nicht erst versucht, eine gemeinsame Linie in unsere Titel zu bekommen. Wir wollen ja auch musikalisch/kompositorisch nicht alle gleich klingen. Cool Motion lebt ja davon, dass vier unterschiedliche Musiker gemeinsam die Stücke der Mitmusiker interpretieren. Da entsteht, wie gesagt, immer etwas Unvorhergesehenes was uns aber willkommen ist. So fanden wir und finden auch zunehmends mehr zu unserem ganz eigenen Sound. Es wäre also keine gute Idee, die Mitglieder irgendwie „gleichzuschalten“.
Was hört ein Jazzmusiker wie Du eigentlich privat am liebsten?
Oft gar nichts und wenn dann meist Jazz. Zuletzt hat mir von Barney Kessel „plays Carmen“ und von Pat Martino „Well be together again“ am meisten Spaß bereitet. Manchmal höre ich auch die Stones oder Amy Winehouse.
Der Bayerische Wald hat viel Ruhe – Würzburg hat Jazz
Und Dein letztes großes Rockkonzert war …?
Keine Ahnung … Das letzte große Rockkonzert das mir jetzt in den Sinn kommt war Pink Floyd in München. Das dürfte Anfang der Neunziger gewesen sein. Das letzte kleine Rockkonzert war vor ein paar Monaten in Würzburg die Band „Early Man“.
Eine allerletzte Frage hätten wir noch an den eingebürgerten Würzburger: Was hat der Bayerische Wald was Würzburg nicht hat und umgekehrt?
Der Bayerische Wald hat viel Ruhe, viel Familie, einige sehr gute Freunde, lustige Straßenführungen am Stadtplatz und leider viel zu wenig Jazzmusiker und Jazzkonzerte. In Würzburg habe ich eben diese Musiker und viele Konzerte und Gigs in meinem Umfeld, eine Musikhochschule und mit Wein statt mit Wald bepflanzte Berge.
Interview: Dike Attenbrunner, Jason Ditshej
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- Das Album „It’s Your Delusion“ von Cool Motion wird hier näher beleuchtet.