Ja! Endlich! Alanis Morissette is back! Mit einem Album namens „Havoc and Bright Lights“ mischt sie sich nach vier Jahren wieder unters Volk. Obwohl … ist das wirklich Alanis Morissette? Gut, der Stimme nach ist sie es – die ist ja auch unverkennbar. Auch das Morissette-typische „laut“ und dann wieder „leise“ begleitet einen auf dem Album – wobei das „Leise“ mit einigen Pianoballaden deutlich überwiegt. Aber nun gut: Sie hat halt inzwischen den Rapper Souleye geheiratet (dem sie auch das Liebeslied „Til You” gewidmet hat) und ihren Sohn Ever gekriegt. Man könnte also sagen: Sie ist „gesettled“. Und das hört man eben auch auf dem Album.
Moment – das ist nicht unbedingt schlecht! Vielleicht tut man Alanis Morissette unrecht, wenn man ihre neuen Sachen auf immer und ewig mit ihren wütend-enttäuschten Songs wie „You Oughta Know“ vergleicht. Als ob sich ein Mensch nicht im Laufe seines (musikalischen) Lebens ändern könnte! Es ist aber die Frage, ob sie damit auch nur annähernd an den Welterfolg „Jagged Little Pill“ (1995) anknüpfen kann.
„Guardian“ ist die stärkste Nummer auf der neuen Scheibe
Und genau das ist auch der Punkt: Bei Songs wie „Empathy“ oder „Celebrity“ (darin geht es um den Preis des Ruhms) beschleicht den Hörer irgendwie das Gefühl, dass es Alanis Morissette schnurzpiepegal ist, wie erfolgreich das Album sein wird, ob es gefällt oder nicht. Vielmehr geht es ihr darum, sich so zu zeigen wie sie ist. Oder wie Morissette es ausdrückt: „Ein großer Teil meiner Aufgabe hier ist, etwas zur Intensivierung von Intimität, Verbundenheit und Authentizität beizutragen.“ „Thank you for seeing me“ heißt es dann auch in „Empathy“, indem sie sich bei ihrem Mann und ihren engsten Lieben dafür dankt, dass sie sie wirklich wahrnehmen.
Morissette begann die Songs auf „Havoc and Bright Lights“ kurz nach der Geburt von Ever zu schreiben. Die erste Single des Albums „Guardian“, die zugleich die stärkste Nummer auf der neuen Scheibe ist und den typischen 90er-Rock-Sound von Morissette hat, handelt denn auch von ihrer Beziehung zu sich selbst, ebenso wie von der zu ihrem Sohn („I’ll be your keeper for life as your guardian“). „Es geht um die Fürsorge, die ich mir selbst angedeihen lassen muss, wie ich es noch nie zuvor getan habe, damit ich mein Leben als Ehefrau und Mutter bewältigen kann“, sagt sie.
Morissette wollte ihrem Sohn 24 Stunden am Tag nahe sein – und richtete deshalb zu Hause ein provisorisches Studio ein
„Als mein Sohn geboren war, fühlte ich sofort den Drang, diese Platte schreiben zu müssen“, erinnert sich Morissette. „Das Timing hätte natürlich nicht schlechter gewählt sein können. Postnatal sollte man eigentlich nichts anderes tun als postnatal zu sein. Weil ich ‚Attachment Parenting’ praktiziere, wollte ich ihm 24 Stunden am Tag nah sein.“ Also verwandelte sie den ersten Stock ihres Hauses kurzerhand in ein provisorisches Studio, lud ihren Kollaborateur von „Flavors of Entanglement“ Guy Sigsworth aus London ein und zusammen machten sie einen Song pro Tag. Um den elektronischen Vibes Wärme entgegenzusetzen, brachte Morissette außerdem noch Produzent Joe Chiccarelli (Jason Mraz, White Stripes, The Strokes) ins Spiel, der den Songs eine geerdete, organische Stimmung verleihen sollte.
„Es war eine ungewöhnliche aber perfekte Mischung aus Mutterschaft und Künstlertum“, sagt sie. „Es war eine Herausforderung beides zur gleichen Zeit zu machen, aber ich hatte keine andere Option. Ich fühlte mich derart gezwungen beides zu 100 Prozent zu machen, dass ich es nur so hinkriegen konnte. Ich habe dabei eine tiefe Affinität und eine große Dankbarkeit für Kaffee entwickelt und – zum ersten Mal in meinem Leben – für die Fähigkeit im Sitzen zu schlafen“, erzählt sie lachend.
Musikalisch gesehen von „Ironic“ und „You Oughta Know“ weit entfernt
Naja, den Eltern unter uns schwant angesichts solcher Aussagen: Beim ersten Kind ist die Welt rosarot – das ist ein bisschen so wie mit dem „Verliebtsein“. Auch wenn das Kind schreit, rund um die Stunde seine Windeln vollmacht und dauernd getragen werden will, gibt es nichts Schöneres als den eigenen Nachwuchs. Vielleicht nicht die beste Zeit für ein mitreißendes Comeback …
Denn auch wenn Morissette sich wichtigen Themen wie Frauenfeindlichkeit („Woman Down“) oder Süchte („Havoc“) annimmt, reicht keine der Nummern musikalisch gesehen auch nur annähernd an „Ironic“ oder „You Oughta Know“ heran. Melodisch gesehen findet man auf dem Album eher Wohlfühl-Rock. Schlecht ist das Album deswegen noch lange nicht. Es zeigt nur eine andere Seite von Morissette – eine zufriedene. Gönnen wir ihr doch einfach das Familienglück! Spätestens wenn der Sohnemann in die Pubertät kommt, wird auch die Morissette wieder andere Saiten aufziehen. Kann sich nur noch um geschätzte zehn Jahre handeln … bis dahin ist auch „Havoc and Bright Lights“ nicht die schlechteste Wahl.
Dike Attenbrunner