Wildniscamp am Falkenstein. Eine müde, aber zufriedene Gruppe von zehn Jugendlichen stieg am Samstagabend aus dem Zug am Bahnhof im südmährischen Znojmo aus. Auf den ersten Blick ganz normale Rückkehrer von einem der vielen Jugendlager, die zurzeit stattfinden. Das gleiche Bild gab es im nordböhmischen Städtchen Krásná Lípa und im sächsischen Bad Schandau . Die Kinder aus dem tschechischen Vimperk und den bayerischen Gemeinden Regen, Viechtach und Neureichenau waren da schon längst zu Hause. Schließlich haben sie den Nationalpark Bayerischer Wald, wo tschechische und deutsche Jugendliche dieses Jahr an einem ganz besonderen Camp teilnahmen, unmittelbar vor der Haustüre.
Denn während die wilden Wälder des ältesten deutschen Nationalparks am Grenzkamm frei in die Waldungen und Hochmoore des Šumava übergehen, häufige wie auch seltene Tier- und Pflanzenarten auf Ländergrenzen keine Rücksicht nehmen und auch Luchs und Auerhuhn keinen Unterschied zwischen „drent“ und „herent“ machen, hindert die Menschen in diesen Schutzgebieten – mehr als zwanzig Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs – am gemeinsamen Kontakt immer noch eine ganz wesentliche Barriere: die der deutsch-tschechischen Sprachgrenze.
Bei der jungen Generation Begeisterung für die Natur wecken
Umso wichtiger sind Zusammentreffen, bei denen diese Barriere abgebaut wird. Die Idee, ein deutsch-tschechisches Jugendlager für die Kinder aus den Regionen der grenznahen Nationalparke zu veranstalten, basiert auf der Überzeugung, dass ihre Verwaltungen nicht nur Naturschutzämter sind, sondern sich aktiv an der Entwicklung der ländlichen Regionen beteiligen und „weltweit helfen bei der jungen Generation die Begeisterung für Natur zu wecken“, erläutert Lukas Laux, Bildungsreferent des Nationalparks Bayerischer Wald und Initiator des Projekts.
Die ersten Camps wurden zwischen dem Bayerischen Wald, dem angrenzenden Šumava und der Böhmisch-Sächsichen Schweiz veranstaltet. Weil aber auch die Grenze zu Österreich deutsch-tschechisch ist, wurden vor zwei Jahren auch die Nationalparke Thayatal und Podyjí zum gemeinsamen Projekt eingeladen. Die Nationalparkverwaltungen wechseln sich in der Organisation des Camps ab, jedes Jahr wird es anderswo veranstaltet. „So wie die Nationalparke ist auch jedes Camp anders – die Organisatoren haben dazu freie Hand. Bei den einen stehen mehr naturkundliche Wanderungen auf dem Programm, bei den anderen ist mehr Freizeit und Spaß angesagt“, erklärt Jakub Juda aus dem Nationalpark Böhmische Schweiz und ergänzt: „Zugleich sind wir bemüht, dass die Camps, trotz des oft exklusiven Programms, keinen exklusiven Preis haben und so für alle Kinder aus der Region attraktiv bleiben.“ Dabei hilft uns vor allem der deutsch-tschechische Zukunftsfonds, der die letzten Camps gefördert hat. Vor Ort im Bayerwald sind die Kommunale Jugendarbeit des Landkreises Regen und der Kreisjugendring Freyung-Grafenau langjährige und wichtige Kooperationspartner.
Deutsch-tschechisches Jugendlager im Wildniscamp am Falkenstein
Eine einmalige Veranstaltung verdient auch einen einmaligen Veranstaltungsort, weswegen das Jugendlager im „Wildniscamp am Falkenstein“ stattfand. Diese Begegnungs- und Bildungsstätte wurde vor zehn Jahren auf einer Wiese vor dem Falkenstein, mitten im Nationalpark Bayerischer Wald, gebaut. Das Ungewöhnliche: Hier gibt es keine Zimmer mit Etagenbetten und auch keinen Waschraum im Flur. Stattdessen sind im umliegenden Wald originelle Hütten aus Massivholz verstreut. Ohne Strom, ohne Licht und ohne Heizung. Man schläft in Schlafsäcken und jeder hat nur eine Holzkiste für seine persönlichen Sachen.
Eine der Hütten steht über dem Bach, eine andere befindet sich in 12 Meter Höhe in den Baumwipfeln und wieder eine andere erinnert an die Sonne. Die umgebenden Wälder verbergen alte Urwaldreservate, heute verbunden durch die Naturzonen des Nationalparks. Das Zentralgebäude wurde ebenfalls aus Holz erbaut und beherbergt Küche, Speisesaal und Duschen. Vor einigen Jahren wurde das Areal dann noch um die sogenannten Länderhütten erweitert – diese zeigen, wie die Menschen in Nationalparken auf anderen Kontinenten wohnen. So können Kinder mehr über Natur, Klima, aber auch Schwierigkeiten der weit entfernten Länder erfahren und erleben.
„Als wir überlegt haben, wie wir das runde Jubiläum feiern könnten, waren wir uns einig, dass wir alle Energie für die Kinder investieren wollen, für die das Wildniscamp errichtet wurde. Bei unserer Lage – 3 km entfernt zum Nationalpark Šumava – war so ein deutsch-tschechisches Jugendlager die perfekte Wahl“, sagt Achim Klein, Leiter des Wildniscamps. „Und schon nach wenigen Tagen wurde das Programm vor allem von der Begeisterung der ganzen Gruppe bestimmt“, zeigt sich Klein begeistert.
Das Jugendlager: nicht nur für junge Naturwissenschaftler, sondern eine vielseitige Veranstaltung
Auch wenn die Veranstaltung Jahr für Jahr an besonderen Orten in den jeweiligen Nationalparken stattfindet, ist es keinesfalls ein Camp für junge Naturwissenschaftler. „Als an unsere Schule die Einladung zu einem naturkundlichen Camp der Nationalparke gekommen ist, dachte ich, dass wir da eine Woche lang mit der Lupe durch den Wald rennen werden“, erinnert sich Tereza Daňková aus Vimperk, „doch so einseitig war es keinesfalls, es gab viele Infos zur Natur und dem Park, aber auch viele andere Angebote. Meine Erwartungen hat es weit übertroffen!“
Das Jugendlager hat mehrere Ziele und das Programm ist dementsprechend bunt: In diesem Jahr absolvierten die Kinder unter anderem dreitägige Kreativ-Workshops, in denen sie sich als Holzbildhauer ausprobierten. Als „Geschenk“ zum Jubiläum erbauten sie für die Küche des Wildniscamps ein Gewächshaus, es wurde ein eigener Film gedreht und Musiker Balboo riß die Kinder mit in die Welt der Waldmusik. Die anfängliche Scheu wurde mit aktiven Gruppenspielen überwunden und die Sprachschule half auch ohne die Betreuer bei der Verständigung. Und natürlich gab es mit Fachleuten Wanderungen in der Umgebung. So wurden Fraßspuren der Prachtkäfer in Urwaldreservaten bewundert, die Geschichte der Schachten erläutert, und der Eigenkraft der Natur in den Wäldern um den Lusen nachgespürt. Bei der Hitze der letzten Woche besuchten die Jugendlichen aber auch das Frauenauer Schwimmbad. Häufig klang der Tag am Lagerfeuer bei Gittare und böhmischen Liedern aus.
Bewusstsein für Naturschutz schaffen
Bei der positiven Energie des Camps bleibt vieles Wichtige „zwischen den Zeilen“. Ohne es direkt ansprechen zu müssen, merken die Kinder, dass die Natur unweit von ihrem Zuhause etwas ganz Besonderes ist. Doch zugleich hat die Natur, durch den Nationalpark, auch etwas gemeinsames mit den Herkunftsgebieten anderer Kinder. Wenn dabei auch die Sprachgrenze kein so unüberwindliches Hindernis zu sein scheint, dann wird die Bedeutung eines Netzes der Schutzgebiete deutlich. Wenn das Bewusstsein der großen Zusammenhänge im Naturschutz bei der jungen Generation der geschützten Regionen geweckt werden kann, dann ist dies ein guter Baustein für die Zukunft.
„Erfahrungsgemäß brauchen die Kinder mehr als eine Woche, um als Gruppe zusammenzuwachsen. So können Freundschaften entstehen, die, zwischen den Nationalparkregionen und vielleicht auch grenzüberschreitend, über den Rahmen des Camps hinaus, lebenlang bestehen bleiben. Auch wenn das Camp zehn Tage gedauert hat, haben wir es nur ungern beendet“, sagt Pavel Storch vom Nationalpark Bayerischer Wald. In einem Jahr wird es daher wieder so weit sein: Am Bahnhof in Znojmo werden aus dem Zug Kinder von beiden Seiten des deutsch-tschechischen Waldgebirges und der Sächsich-Böhmischen Schweiz aussteigen. Neben der Entdeckung der Natur des Thayatals, werden auch auf sie wieder viele gemeinsame Erlebnisse warten. „Das Niveau der Camps ist hoch angesetzt, wir fangen schon langsam mit den Vorbereitungen an – aber vor allem freuen wir uns auf ein Wiedersehen in Podyjí“, freut sich Svatava Holubová aus dem dortigen Nationalpark schon auf das nächste Jugendlager.
„da Hog’n“