Freyung-Grafenau/Tschechien. „Europaregion Donau-Moldau“, kurz: EDM, nennt sich das jüngste Kind der wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Zusammenarbeit in Bayern, Böhmen und Österreich. Ein weiterer wichtiger Meilenstein auf dem Weg hin zu einem grenzenlosen Europa der Regionen. Im Hog’n-Interview spricht Euregio-Geschäftsführer Kaspar Sammer über die Bedeutung der EDM-Gründung, deren Auswirkungen auf die Arbeit der Euregio und welche Ziele es nun zu verfolgen gilt. Dass insbesondere gegenüber dem Nachbarland Tschechien auf bayerischer Seite immer noch Vorurteile herrschen, streitet er nicht ab. Die Zeit wird dieses Problem jedoch seiner Meinung nach regeln …
Herr Sammer: Wie wichtig war die Gründung der Europaregion Donau-Moldau Ende Juni in Linz? Was erhofft sich die Euregio davon?
Die Gründung der Europaregion war ein wichtiges politisches Signal: 7 Regionen wollen über Staatsgrenzen hinweg zusammenarbeiten und haben gemeinsam ein Konzept erarbeitet, wie und in welchen Themenbereichen sie das machen wollen. Das ist eine bisher nie dagewesene Situation, denn obwohl die grenzüberschreitende Zusammenarbeit seit vielen Jahren sehr gut läuft, war die strategische Ausrichtung – sprich: mehr zu wollen als zufällig entstandene Projekte – noch nicht vorhanden.
„Grenzen sollen innerhalb der Europaregion unerheblich werden“
Die EUREGIO hat diesen Prozess stellvertretend für Niederbayern in den letzten drei Jahren begleitet. Oft werden wir gefragt, warum wir uns für die Europaregion einsetzen und ob wir nicht Angst haben, dass wir uns überflüssig machen. Diese Angst ist unbegründet, da die EUREGIO und die Europaregion unterschiedliche Aufgaben haben und andere Themenfelder bearbeiten. Wir erhoffen uns von der Europaregion Projekte, z.B. im Bereich Hochschulkooperationen oder Arbeitsmarkt, die wir auf Ebene der EUREGIO bisher nicht anstoßen und langfristig etablieren konnten. Letztlich geht es bei der EUREGIO darum, die Menschen zusammenzubringen, die grenznah leben. Die Europaregion will wichtige Bildungs- und Forschungseinrichtungen, Verwaltungen, Politik, Wirtschaftsverbände usw. in den 7 Regionen strategisch vernetzen.
Ziel wäre es, dass für jeden Einzelnen, der in der Europaregion lebt, die Grenzen unerheblich werden; dass es normal wird, auch im Nachbarland zu arbeiten, sich ausbilden zu lassen, in der Arbeit EDM-weit zu kooperieren. Das mag zugegebenermaßen etwas visionär klingen, aber an den westlichen Grenzen Deutschlands, etwa zu Frankreich oder Holland, ist dies bereits Wirklichkeit – und das spornt uns an, uns dafür einzusetzen.
Welche Probleme gilt es in diesem Zusammenhang zu lösen?
In der Anfangsphase gab es viele Diskussionen um die politischen und verwaltungsmäßigen Zuständigkeiten in den einzelnen Teilregionen, da diese in jeder Region anders aufgebaut sind. Der gemeinsame Wille zur Zusammenarbeit hat aber letztlich gesiegt. Jetzt, nachdem die Europaregion als Arbeitsgemeinschaft gegründet wurde, beginnt aber erst die eigentliche Arbeit. Es geht nun darum, dass jede Region zu demjenigen Thema, das sie betreut, eine sogenannte Wissensplattform einrichtet. In Niederbayern werden wir schwerpunktmäßig das Thema „Hochschulraum Europaregion“ bearbeiten. Wir hoffen also auf reges Interesse der Hochschulen in der ganzen Europaregion, an einer Plattform teilzunehmen, aus der heraus Kooperationen und Projekte entwickelt werden, die den Studierenden, den Lehrenden und dem Arbeitsmarkt nutzen. Die ersten Anfragen haben wir schon – wir sind also zuversichtlich, dass wir im Herbst unsere Wissensplattform mit Schwung starten können.
„Viele Menschen aus der Region trauen sich nicht ohne Weiteres nach Budweis oder in den Böhmerwald zu fahren“
Welche anderen konkreten Klein- (oder auch Groß-)Projekte laufen denn aktuell bei der Euregio?
Aktuelle Beispiele sind etwa der Museumsführer „Museen in der Dreiländerregion Südböhmen-Oberösterreich-Niederbayern“, der je 60 Museen in diesen drei Regionen porträtiert und dem Besucher die fantastische und vielfältige Museumslandschaft in der Grenzregion näher bringt. Kürzlich wurde auch das renaturierte Säumermoor bei Soumarský Most mit einem tollen Lehrpfad durch die einmalige, wieder heranwachsende Moorlandschaft eröffnet. Dieses Projekt ist in Zusammenarbeit mit KuLaMu und dem Nationalpark Šumava entstanden.
Viele Veranstaltungen in der Region, die das kulturelle Leben bereichern, sind Kleinprojekte, die von der EUREGIO gefördert werden. Beispielsweise wird am Samstag in Mauth das Donau-Moldau-Fußballturnier mit 32 Mannschaften eröffnet. Oder natürlich das Säumerfest in Grainet: Die Graineter Säumer sind so etwas wie Pioniere der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und seit vielen Jahren eng befreundet mit den Säumern aus Prachatice.
Welche Erfolge können die EUREGIO-Projekte bisher vorweisen? Wie sind diese messbar?
Den Erfolg der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit kann man einerseits in Zahlen messen: Es sind in den letzten Jahren unglaublich viele Projekte durchgeführt worden. Alleine im Bereich der Kleinprojekte wurden 1.500 Begegnungsmaßnahmen mit rund 7 Millionen Euro gefördert. Auf zirka 50 Millionen Euro dürfte sich die Förderung aus EU-Mitteln für etwa 200 Großprojekte im EUREGIO-Gebiet seit dem Jahr 2000 belaufen. Die dadurch getätigten Investitionen in der Grenzregion sind ein wichtiger Beitrag zur Strukturförderung, der Arbeitsplätze erhält oder sogar schafft.
Andererseits gibt es natürlich die „weichen“ Effekte, nämlich die Begegnungen und die Begeisterung für unsere Nachbarn. Die können wir nur aus den persönlichen Schilderungen der aktiven „Grenzüberschreiter“ entnehmen und an der stetig hohen Nachfrage nach Förderungen von Besuchen im Nachbarland durch Vereine, Schulen und Gemeinden. Hier würden wir uns aber noch mehr „Normalität“ wünschen, insbesondere im Hinblick auf Tschechien. Wir glauben, dass sich viele Menschen aus der Region nicht trauen, einfach mal nach Budweis zu fahren oder in den Böhmerwald. Gewisse Ressentiments sind einfach noch vorhanden – aber das ist auch eine Frage der Zeit.
„Besonderes Lob gilt denjenigen, die die tschechische Sprache lernen“
Kann sich auch die „normale“ Bevölkerung in irgendeiner Weise mit einbringen?
Natürlich kann sie sich in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit engagieren. Viele machen das ja schon, setzen z.B. mit ihrem Verein ein Kleinprojekt um. Ein besonderes Lob gilt auch denjenigen, die in der vhs oder in der KEB Tschechisch-Kurse besuchen – rein aus Interesse oder vor ihrem beruflichen Hintergrund. Jeder der eine Idee für ein grenzüberschreitendes Projekt hat, kann sich bei uns melden – wir sind dafür da, zu unterstützen, Impulse zu geben und Kontakte zu knüpfen.
Herr Sammer, vielen Dank, dass Sie sich für uns Zeit genommen haben.
Dike Attenbrunner, Stephan Hörhammer
Im neuen Schuljahr wird die Realschule Freyung sowie ihre neue tschechische Partnerschule aus Zliv Experimentierkästen zum Thema „erneuerbare Energien“ bekommen, gefördert von der Euregio.
In einem Projekt sollen die Schülerinnen und Schüler ihre Forschungsarbeiten der Öffentlichkeit vorstellen.
Zudem ist eine Zusammenarbeit mit dem Technologiecampus Freyung angedacht.