Billy Corgan. Smashing Pumpkins. Wenn man diese Namen in den digitalen Raum wirft, werden wohl viele der heutigen Musikkonsumenten eher gepflegt die Stirn runzeln. Wenigstens „de Oidn“ unter uns, die den Begriff Grunge nicht nur aus dem Geschichtsunterricht kennen, werden vielleicht aufhorchen. Oder noch eher abwinken.
Gibt’s die noch? Oder ist „die“ nicht schon der erste Fehler? War das nicht schon immer der schrullige Billy Corgan – vielleicht multipliziert mit seinen fünf Egos?
Wenn man sich der aktuellen Scheibe „Oceania“ nähern will, sollte man vielleicht eine kurze Zeitreise einlegen, um das Album besser einordnen zu können: Die ursprünglichen Pumpkins gingen ja nach dem Jahrtausendwechsel mehr oder weniger freiwillig getrennte Wege, von James Iha und Melissa Auf der Maur gab’s vereinzelte Lebenszeichen. Und auch der gute Billy hat die branchenüblichen Solopfade beschritten – dabei hatte ich sogar das Glück (gewiss aus subjektiver Sicht), einer seiner sehr wenigen (zugegebenermaßen recht skurrilen) Soloshows im Jahr 2003 beizuwohnen. Da hangelte er sich von überraschenden Covers zu elektronischen Versuchen, die wohl die meisten Fans verwirrt oder – noch schlimmer – gelangweilt haben.
Die Vorgeschichte verhieß wenig Gutes für den Wiederbelebungsversuch
Dann die „Reunion“ 2005 – grosses Ballyhoo, aber die mit dem einzig verbliebenen Ur-Pumpkin Jimmy Chamberlin aufgenomme Platte „zeitgeist“ spaltete die Geister. Für die meisten fader Aufguss alter Classic-Rock-Kamellen, für mich als unbeirrbaren Fan eine Rock-Platte alter Prägung. Da passte es gut, dass Billy bei Rock im Park/am Ring den Scorpions-Haudegen Uli Jon Roth (wer kennt denn den heute noch? ehrlich sein!) auf die Bühne brachte. Wer solchen Old-School-Hardrock heute noch gut findet, der legt keinen Wert auf politisch korrekten Musikgeschmack. Mir war das egal, unterhaltsam war es in jedem Fall.
Dann wieder Billys typischer Richtungswechsel: „Teargarden By Kaleidyscope“ – einzelne Songs kostenfrei auf seiner Website, den Kritikern zum Fraß vorgeworfen. Und die meisten Bewertungen fielen wahrlich nicht so begeistert aus, wie sich der Bandgründer das wohl gedacht hatte. Aber dem wird’s wie üblich egal gewesen sein. Sein Selbstbewusstsein ist ja legendär.
Selbst mich als langjährigen Anhänger hatte dieses Vorgehen langsam aber sicher aus der Spur geworfen – sicherlich keine schlechten Songs, aber: bemerkenswert klingt anders. Schade.
Wir schreiben Juni 2012: eine komplette Scheibe, „Oceania“ der Titel. Sogar „old school“ auf hartem CD/Vinyl. Aber: Es ist faktisch nur noch Billy. Jimmy an den Schlagstöcken hat wohl den Alkohlentzug erholsamer als eine weitere Zusammenarbeit mit seinem Spezl empfunden. Und obendrauf: Drum-Nachfolger per Internet-Casting – ja hat denn der „American-Idol“-Wahnsinn selbst Mr. Corgan infiziert und in den endgültigen Wahnsinn getrieben?
Kurz und gut: Die Vorgeschichte verhieß wenig Gutes für diesen neuen Wiederbelebungsversuch eines ergrauten Mythos. Aber wie so oft im (Musik-)Leben – es kommt anders, als man denkt. Und diesmal ist es gut so! Nach noch etwas sperrigem Start mit „Quasar“ fühlt man sich in die besten Tage der beginnenden 90er zurückversetzt. Der neue Jungspund an den Drums lässt einen schnell alte Weggefährten vergessen, der Rest der Band fügt sich sehr positiv ein – wenn auch vielleicht nicht so kongenial wie das Gründungspersonal.
Mitreißend-melodiös wie seit „Bullet With Butterfly Wings“ nicht mehr
Nur eins macht den Unterschied: Die hymnenhaften Melodien, die viele Pumpkins-Songs so einzigartig und unvergesslich gemacht haben, sind zurück. Gepaart mit dem (zugegebenermaßen klassischen) Pumpkins-Song-Aufbau wird man mitgerissen, wie seit „Today“ oder „Bullet With Butterfly Wings“ nicht mehr. Und es wird klar, dass der entscheidende Knackpunkt des Erfolgs nun mal das melodiöse Gespür des werten Billy Corgan war – und ist. Perfekt gelingt ihm dies bei „The Celestials“, aber noch erfreulicher: Alle anderen Songs halten dieses hohe Niveau mit spielerischer Leichtigkeit. Echte Ausfälle begegnen einem nicht.
Der Sound schwankt zwischen gewohntem 90er Fuzz-Gitarren und ruhigen Momenten – aber nie, ohne die Genialität der Melodie aus den Augen zu verlieren. Gitarre verzerren und düster daherfaseln können viele – fesselnde Melodiebögen nur die wenigsten. Stark!
Wer wie ich gewohnheitsmäßig nur das Fazit von Platten-Reviews liest: Egal ob ihr von diesen alten Säcken noch nie etwas gehört habt oder nichts mehr hören wolltet – gebt alten Menschen eine Chance, sie haben es (zumindest hier) vollauf verdient! Und im Anschluss noch die alten Disks entstauben tut auch nicht weh …
Jetzt fehlen nur noch ein paar Live-Shows auf bayerischen Bühnen –
Mr. Corgan, wir warten auf Sie!
Josef Massinger