Liebe Atomkraftgegner und -befürworter,
die Schweiz, Finnland, Bulgarien – etliche Länder überdenken ihre Pläne für den Einsatz von Atomkraft aufgrund der wachsenden nuklearen Krise in Japan.
Das las man vor gut einem Jahr in den Medien. Die Menschen dieser Länder haben also im Gegensatz zu den Tschechen einen Haufen Idioten gewählt. So sieht das anscheinend der tschechische Ministerpräsidenten Petr Nečas. Von ihm stammt nämlich die Aussage in der Überschrift dieser Bost-Sendung. Er bezieht sich damit auf eine Beschränkung der Leistung bestehender Anlagen oder ein Verwerfen von Ausbauplänen der Atomkraftwerke seines Landes. Eine achtköpfige Expertengruppe empfahl die Weichen in Richtung Atomstrom zu stellen. Ein Mitglied war Dana Drábová, Chefin der landeseigenen Atomenergiebehörde.
Aus technischer Sicht gäbe es keinen Grund für Stilllegungen, sagte Drábová. Sie ist Kernphysikerin und ehemalige Vorsitzende der „Western European Nuclear Regulators‘ Association“ (kurz WENRA), einer unabhängigen Organisation, die sich aus Vertretern der Kernenergie-Aufsichtsbehörden der Länder Europas zusammensetzt. Beim Ausbau von Temelin habe man sich nach eindringlicher Prüfung für einen Druckwasserreaktor entschieden.
Wer braucht also den Stromüberschuss aus Tschechien?
„Ich kenne keinen anderen ähnlichen Fall, in dem ein Land so starken Druck auf den Nachbarn ausübt ihn von seinen Plänen abzubringen“, sagte der tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg. Die Tschechen unterstützen den Ausstieg Deutschlands aus der Kernenergie, indem sie Deutschland erlauben, Elektrizität durch tschechische Vertriebsnetze zu transportieren. Der Stromexport Tschechiens lag 2008 bei 19,986 Terra-Wattstunden (TWh), der Import bei 8,524 TWh. Man ahnt, wie der Hase läuft …
Allerdings ist fraglich, ob Deutschland auf Strom aus Temelin angewiesen ist. Es hatte nämlich bereits 2011, kurz nach dem Abschalten der alten Atommeiler, wieder ein Plus in seiner Stromhandelsbilanz. Ein gutes Windjahr, die Photovoltaik wurde stark ausgebaut und wird es in den nächsten Jahren weiterhin. Wer braucht also den Stromüberschuss Tschechiens?
„Der Druck von Österreich und Deutschland bezüglich des Temelin-Ausbaus ist fehl am Platz, wenn Sie die großen wirtschaftlichen Probleme in Europa zurzeit betrachten“, sagt Václav Bartuška, Regierungsbeauftragter im Bereich Temelin-Expansion. Nun ja, man kann die Tschechen schon auch irgendwie verstehen – bei den Gaslieferproblemen, die die Russen seit Jahren haben … Durch „Strom aus dem Atom“ kann die benötigte Energie vieler Industriebetriebe sicherlich auch bereitgestellt werden – und das höchstwahrscheinlich zu einem Bruchteil der Gasimportkosten. Wie jeder wissen sollte, hängt aber ein ellenlanger Rattenschwanz von Problemen an dieser Form der Energiegewinnung …
Bis zu 7800 Tonnen Atommüll müssen gelagert werden – irgendwo
Eine Masse zwischen 5600 und 7800 Tonnen strahlenden Abfalls müssen nach den 60 geplanten Betriebsjahren Temelins irgendwo gelagert werden. Einen Endlagernachweis gibt es derzeit allerdings nicht. Im Rennen ist zum Beispiel Hradiště bei Karlsbad, nur ca. 30 Kilometer vom Vogtland in Sachsen entfernt; genauso wie aktuell Boletice bei Krumau im Dreiländereck.
Als mögliche Standorte galten 2009 trotz massivsten Protesten der dort lebenden Bevölkerung noch Lodhéřov, Božejovice, Pačejov, Lubenec, Budišov und Rohozná sowie die Militärgebiete Březina bei Vyškov, Brdy bei Příbram und die bereits oben genannten, grenznächsten Gebiete Vojenský újezd Hradiště im Duppauer Gebirge und Boletice bei Krumau. Diese beiden letzten Standorte kann man wegen geringer Bevölkerungsdichte und somit fehlendem Widerstand allerdings auch als Ablenkungsmanöver von der noch ungelösten Endlagerfrage sehen. Bis Ende 2015 werden zwei mögliche Orte ausgewählt, anschließend soll bis 2018 der endgültige Standort des Endlagers festgelegt werden.
Online-Aktion gegen Temelin-Ausbau – Es bleibt das Prinzip Hoffnung
Technik für die geplanten Druckwasserreaktoren von Westinghouse steckt übrigens auch in Schwedens Kernkraftwerk Ringhals. Dort ereignete sich jüngst, am 18. Juni, der letzte Störfall. Ein Reaktor des US-Kernkraftwerks Indian Point ist am 6. Juni das letzte Mal außerplanmäßig abgeschaltet worden. Auch darin sind Druckwasserreaktoren von Westinghouse verbaut.
Über ein Viertel der tschechischen Bürger sehen übrigens einen positiven Effekt von Windenergie, Solarstrom und Biogasanlagen für die Umwelt, befürchteten aber höhere Strompreise. Ein Drittel der knapp 1100 Befragten spricht sich für eine langfristige Abkehr von der Atomkraft aus.
Insgesamt knapp 26.000 Menschen aus Deutschland, Österreich und weiterer Anrainerstaaten haben sich an der Online-Aktion des Umweltinstituts München gegen den AKW-Ausbau beteiligt. Die Landtagsgrünen haben mehr als 1.000 Protestschreiben gegen die geplante Erweiterung gesammelt. Ob’s was bringt? Es bleibt das Prinzip Hoffnung …
Strahlende Grüße ausm grenzübergreifenden Woid,
einem der größten und artenreichsten Schutzgebiete in Mitteleuropa
– und potenziellem Endlagerstandort.
Euer Mike Wagner