Nach dem „großkoalitionären Therapiegespräch“ vom Sonntag lieferten sich tags darauf die „kleinen Parteien“ im „Fünfkampf“ eine TV-Debatte (ARD), die ihren Namen auch verdient. Unter der Leitung des Moderatoren-Duos Sonja Mikich (WDR) und Christian Nitsche (BR) fanden sich Sahra Wagenknecht von der Linken, Alice Weidel von der AfD, Cem Özdemir von den Grünen, Christian Lindner (FDP) und Joachim Herrmann (CSU) im Studio ein. Munter, konfliktreich, jedoch stets gesittet diskutierte man über Digitalisierung, Bildung, innere Sicherheit und Renten. Nach dem tristen „Behördengang“ tags zuvor, war der Schlagabtausch der fünf kleinen Parteien ein Lehrstück in Sachen lebendiger Diskussionskultur.
Dass für den geneigten Zuseher im großen Duell die Unterschiede zwischen Merkel und Schulz kaum vernehmbar waren und somit „selbst bei Wohlmeinenden eine gewaltige Sehnsucht nach Alternativen jenseits von Union und SPD“ wachse, kommentierte Robert Roßmann in der SZ Online – und hat damit wohl nicht allzu Unrecht. Während die Spitzenkandidaten von CDU und SPD sich größtenteils im Terrain des Präteritums austauschten, also mehr in der Vergangenheit verhaftet blieben, wurde im kleinen Duell schnell klar, wohin die Reise gehen soll: Nach vorne, Richtung Zukunft. „Investieren“, „Digitalisierung“, „Kinder“ und „nächste Generation“ waren die bestimmenden Schlagwörter der Debatte.
Mit parteiübergreifendem Konsens in die Zukunft
Mit den besten Karten wurden in diesem Duell offensichtlich Wagenknecht und Weidel ausgestattet – als einzige am Tisch gehörten keine der beiden in den vergangenen zwölf Jahren einer Regierung an. Besonders interessant machte die Auseinandersetzung, dass es sich eben um jene beiden Parteien handelt, die ideologisch die größten Differenzen aufweisen, im Verlauf der Sendung aber immer wieder einige Brücken von links nach rechts schlugen. Die wirtschaftspolitischen Uneinigkeiten aller Beteiligten am Tisch sollten in weiterer Folge den Verlauf der Debatte bestimmen. Egal, ob beim Thema Bildung, Rente, Mietpreisbremse oder Umwelt und Dieselfahrverbot – die Debatte entzündete sich meist an der Frage: Wer kann und will an welcher Stelle für was wie viel ausgeben?
Als ob man nach den zahlreichen Kritiken des eher tristen und eintönigen TV-Duells vom Vortag beweisen wollte, wie Politik wirklich funktionieren kann, bekam man sehr schnell einen Eindruck davon, wo sich die programmatischen Unterschiede der einzelnen Parteien verbergen. Von der sonntäglichen Feierstimmung à la „eh alles in Butter, halb so wild“ war am Montag nur wenig zu spüren. Dass Deutschland und die Welt zukünftig vor zahlreichen Herausforderungen steht und diese am besten nicht von einer Legislaturperiode auf die nächste vertagt, darüber herrschte parteiübergreifender Konsens – über etwaige Lösungswege weit weniger. Gut so!
„Das Gleichgewicht des Marktes“
AfD-Spitzenkandidatin Weidel sieht zukünftige Bedrohungsszenarien vor allem in der unkontrollierten Migration und den europäischen Institutionen. „Das Gleichgewicht des Marktes“, stellt die Ex-Goldman-Sachs-Angestellte fest, werde gewisse Probleme auch ohne politische Interventionen lösen. Sich immer wieder im Finanzjargon verschwurbelnd, fiel es Weidel oft schwer ihre Position offen und klar darzulegen. Dass diverse von der AfD beschworene Kausalitäten nicht ganz so offen zu Tage treten, wie man das im eigenen Hause gerne hätte, offenbarte die Debatte ganz deutlich. Als Weidel beim Thema Klima dann versucht mit ein paar Zahlen ihr Argument auf sicherem Boden zu platzieren, quittiert Moderatorin Mikich dies ganz salopp mit einem „Fake News!“.
Beim Thema Flüchtlinge und Migration stimmt FPD-Vorsitzender Lindner gerne in den AfD-Chor mit ein, auch in Sachen Wirtschaft scheint man sich oft nicht uneins zu sein mit den Rechtspopulisten. Legt Lindner in seinem Spezialgebiet einmal richtig los, ist es vor allem Wagenknecht, die sich gelegentlich auf die Lippen beißen muss. Von den Grünen fordert Lindner mehr „Konsequenz gegenüber Putin“, der Schlagabtausch wird kurz hitzig – kein Problem in einer sonst gesitteten Debatte.
„Nicht erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist…“
Der Christ-Soziale Herrmann, der noch am ehesten in den O-Tönen vom Sonntag referierte, sieht vor allem im Bereich innerer Sicherheit großen Nachholbedarf. Islamistische Gefährder, die Hamburger „Rote Flora“ sowie „Hausbesetzungen“ scheinen dem CSU-Minister ein Dorn im Auge zu sein. Unaufgeregt präsentiert Herrmann die bekannten Positionen der CSU, von allen Anwesenden sitzt seine Partei gewiss am sichersten im Sattel. Etwas unrund wird’s ganz zu Ende der Debatte, als es Herrmann verabsäumt – ob aus Zeitgründen oder innerer Überzeugung -, sich klar gegen übermäßigen Einfluss von Wirtschaft und Lobbyisten auf die Politik auszusprechen.
Jetzt gelte es zu handeln, „nicht erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist“, stellt auch der Grüne Özdemir die Weichen Richtung nächste Generation. Relativ unauffällig, droht er im vorderen Verlauf der Debatte etwas unterzugehen, kann dann aber mit bewährten Grünen-Themen gegen Ende punkten. Etwas Missmut handelt sich Özdemir ein, als er betont, er habe es satt, dass sowohl bei der Linken als auch der AfD Brüssel permanent als Sündenbock herhalten müsse. Erst einmal vor der eigenen Haustüre kehren, so die Mahnung des Bundesvorsitzenden.
Kontroverse, lebendige Debatte
Auch wenn Wagenknecht zuvor von Kontrahentin Weidel noch als „vernunftorientierte Person in der Partei“ bezeichnet worden ist, kann sie mit der populistischen Rechten ansonsten nur wenig anfangen. Schon gar nicht will sie in Sachen Europapolitik mit der AfD in einen Topf geschmissen werden. Ob Weidel für die „handfesten Halbnazis“ innerhalb ihrer Partei werben würde, will sie von der AfD-Kandidatin wissen. Ansonsten bleibt Wagenknecht ihrer Linie treu, fordert eine „Zukunftsvision“ für Deutschland und „dauerhafte Lösungen“.
Nach 75 Minuten Debatte, die zeitweise etwas Gameshow-Charakter annimmt, lässt sich zwar keiner der Kandidaten zum Sieger deklarieren, doch bleibt festzuhalten, was auch Moderatorin Mikich während der Sendung betont: „Unterschiedliche Meinungen: Das ist gut, das hilft den Wählern weiter!“.
Fazit: Die Diskussionsrunde lies dank milde ausgelegtem Regelwerk – einzige wirkliche Regel blieb die Einhaltung des Zeitbudgets – auch eine gewisse ideologische Tiefe zu. Ohne gröbere Ausfälle – was nach Wahlkämpfen in den USA und Frankreich offenbar nicht mehr ganz so selbstverständlich ist – entwickelte sich eine kontroverse, lebendige Debatte, die am Ende zwar keinen Sieger küren, aber aus der zumindest der Wähler als Gewinner hervorgehen kann.
Analyse: Johannes Greß
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