Röhrnbach/Praßreut. „Ich hatte den Plan zuvor gesehen, war also schon auf einiges gefasst. Diese umfassenden Erdbewegungen dann in der Realität in Augenschein zu nehmen, ist nochmal ein ganz anderes Kaliber. Das ist wirklich heftig.“ Die Reaktion von Rechtsanwalt Sebastian Heidorn auf das geplante Gewerbegebiet für Fahrzeug- und Transportlogistik am Dorfrand von Praßreut (da Hog’n berichtete) fällt nach dem Ortstermin in der vergangenen Woche relativ eindeutig aus. Genauso wie die Anwohner, die dadurch eine arge Beeinträchtigung des Ortsbilds sowie eine erhöhte Lärmbelästigung aufgrund an- und abfahrender Lkw befürchten, zeigt sich der Münchner Fachanwalt von der Kanzlei Labbé und Partner beeindruckt von den Größen- und Flächenverhältnissen des Vorhabens. Im Gespräch mit dem Hog’n erklärt Heidorn den aktuellen Stand der Dinge sowie das weitere Vorgehen dagegen.
Herr Heidorn: Sie waren in der vergangenen Woche auch am Landratsamt Freyung-Grafenau zugegen. Was haben Sie dort erreicht?
Ich habe mir die Bauantragsunterlagen zum laufenden Baugenehmigungsverfahren für die im Sondergebiet Praßreut-Winkeltrumm geplanten Gebäude – ein Büro und eine Werkstatthalle – gemeinsam mit meinen Mandanten angeschaut. Diese sind noch nicht genehmigt. Genehmigt sind bislang nur die Geländebewegungen, die Gebäude selbst aber noch nicht.
Lärmschutz: „Wenn Grenzwerte überschritten sind, dann…“
Wer genehmigt schlussendlich die Gebäude?
Das Landratsamt. Der Antrag für die Gebäude ist jedoch erst deutlich nach den Baugenehmigungsanträgen für die Abgrabungen, die bereits im Juni genehmigt worden waren, vom Bauherrn eingereicht worden. Auch das für die Baugenehmigung notwendige Lärmgutachten wurde erst in der vergangenen Woche übergeben. Das sind also noch relativ frische Unterlagen.
Ist im Bezug auf das Einreichen und Prüfen gewisser Unterlagen Ihrer Ansicht nach soweit alles in Ordnung?
Der Antragssteller hat es in der Hand, wie schnell er seine Unterlagen einreicht. Vorliegend handelt es sich um drei genehmigungspflichtige Vorhaben: Zwei Abgrabungen und die Genehmigung der Gebäude. Der Bauherr hat es in der Hand, ob er die Anträge gemeinsam einreicht, oder trennt. In diesem Fall hat er sich hinsichtlich der Gebäude etwas mehr Zeit gelassen als normalerweise üblich – vermutlich deshalb, um abzuwarten, wie mit dem Bebauungsplan weiter verfahren wird. In puncto Bearbeitungszeit am Landratsamt verläuft alles ganz regulär. Dort werden die Anträge bearbeitet, sobald sie auf den Tisch kommen.
Aber in der chronologischen Vorgehensweise sehen Sie keine Beanstandungen?
Nein. Das ist alles in Ordnung soweit, die Baugesetze lassen die getrennte Antragsstellung zu. Ob’s inhaltlich in Ordnung ist, das wird sich noch zeigen. Da haben wir unsere Bedenken…
Welche genau?
Ich habe aufgrund des aktuellen Lärmschutzgutachtens, das ich bei der Akteneinsicht am Landratsamt zu Gesicht bekommen hatte, meine Bedenken in Sachen Lärmschutz für die Anlieger. Es wird demnach sehr laut werden in Praßreut. Für uns stellt sich folgende Frage: Ist die Gebietskulisse dort richtig eingewertet worden? Oder hätte man nicht vielmehr ein lärmsensibleres Gebiet bei der Bewertung zugrunde legen müssen – mit der Folge, dass dann die Grenzwerte vielleicht nicht eingehalten werden? Zudem könnte das Bauvorhaben aufgrund seiner Auswirkungen auf die Nachbarbebauung rücksichtslos im rechtlichen Sinne sein.
Welche Konsequenzen könnte es haben, wenn das Lärmgutachten nicht den geforderten Maßgaben entspricht?
Wenn die Grenzwerte überschritten sind, dürfte das Landratsamt eine Genehmigung nicht erteilen bzw. müsste der Bauherr dann entsprechende Lärmschutzvorkehrungen treffen – wie auch immer diese geartet sind.
Normenkontrollantrag oder Popularklage – „oder beides“
Das gesamte Vorhaben nun noch zu verhindern – ist das überhaupt noch möglich?
Definitiv ja. Hinsichtlich der Baugenehmigung sehen wir die soeben genannten Probleme. Auch der Bebauungsplan ist noch angreifbar. Hier gibt es sowohl das Mittel der Normenkontrolle als auch der Popularklage. Dabei gibt es unsererseits ernsthafte Überlegungen, ob man eines dieser Rechtsmittel – oder vielleicht sogar beide – gegen den Bebauungsplan einlegt. Schließlich bestehen hinsichtlich des Bebauungsplans sowohl formale, als auch inhaltliche Bedenken. Das zentrale Übel für die Anlieger, unsere Mandanten, ist nunmal der Bebauungsplan. Wenn dieser in der Welt ist, ist das Landratsamt daran gebunden und muss ihn bei einem Bauantrag auch umsetzen – komme was wolle.
An diesem geht kein Weg vorbei. Das bedeutet: Wir müssen uns vordergründig zunächst darum bemühen, dass erst einmal keine Baugenehmigung für das Gebäude erlassen wird. Sollte diese dennoch erlassen werden, reichen wir mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit Klage ein. Parallel dazu werden wir aber auch den Bebauungsplan einer gerichtlichen Prüfung unterziehen lassen.
Was genau ist unter einem Normenkontrollantrag zu verstehen?
Dies bedeutet, dass der Bayerische Verwaltungsgerichtshof darüber entscheiden muss, ob ein Bebauungsplan rechtmäßig ist oder nicht. Sollte er nicht rechtmäßig sein, wird ihn das Gericht für unwirksam erklären – damit gibt es für diese Fläche kein Baurecht mehr.
„Beim Bebauungsplan haben wir die größeren Chancen“
Wie ist die derzeitige Stimmung unter Ihren Mandanten?
Der derzeit laufende Baustellenbetrieb und die Gefahr der Umsetzung des Vorhabens zerren an den Nerven und führt zu einer erheblichen Anspannung. Unsere Mandanten werden tagtäglich mit den mehr als unschönen optischen Auswirkungen und dem Lärm der Erdbewegungen konfrontiert. Klarstellen wollen wir aber auch: Es geht nicht gegen die Person Christian Binder, den Praßreuter Unternehmer und Bauherrn, dem das Grundstück gehört, sondern gegen das Vorhaben. Der Standort unmittelbar neben dem Dorf Praßreut ist für ein Auto-Logistikzentrum mehr als unglücklich gewählt, wenn man sich die schmale Zufahrtsstraße und die Beeinträchtigungen der Nachbarschaft ansieht. Das Vorhaben passt dort nicht hin. Praßreut ist ca. 6,8 Hektar groß – die neue Flächenversiegelung durch das Vorhaben beträgt 3,2 Hektar und entspricht damit nahezu der halben Fläche des Dorfes.
Wie hoch stehen die Aussichten auf Erfolg, sollte es zu einer Klage kommen?
Beim Angriff auf den Bebauungsplan haben wir meinem Erachten nach größere Chancen als beim Angriff auf die Baugenehmigung. Das liegt daran, dass der Bebauungsplan umfassend vom Gericht geprüft wird und dabei ein objektiver, auch formaler Fehler genügt, um den Plan zum Kippen zu bringen.
Das Problem bei einer Klage gegen eine Baugenehmigung ist folgendes: Es genügt für einen Klageerfolg nicht, dass die Baugenehmigung rechtswidrig ist. Zusätzlich muss ein subjektives Recht, also das eigene Recht des Klägers, verletzt sein. Dies könnte sich in diesem Fall schwierig gestalten, da die potenziellen Kläger nicht im Gewerbegebiet wohnen und durch eine Straße von diesem getrennt sind. Daher sehen wir die beste Chance darin, die Baugenehmigung in puncto Lärm effektiv zu bekämpfen.
Welche konkreten Schritte stehen nun als nächstes an?
Wir haben gegenüber dem Landratsamt und den zuständigen Aufsichtsbehörden bereits eine Stellungnahme verfasst, die zunächst das Erteilen der Genehmigung verhindern soll. Als nächstes wollen wir das finale Lärmgutachten des Bauherrn von einem eigenen Lärmgutachter überprüfen lassen. Sollte das Landratsamt die Baugenehmigung erlassen, werden wir diese allein aus prophylaktischen Gründen beklagen. Parallel werden wir uns intern beraten, ob Normenkontrolle und/oder Popularklage gegen den Bebauungsplan eingereicht werden.
Zweigeteilte Meinung auf dem Hog’n-Facebook-Kanal
In den sozialen Medien ist indes eine rege Diskussion zum Thema entfacht, insbesondere auf dem Facebook-Kanal des Onlinemagazins da Hog’n gehen die Meinungen auseinander: Das eine Lager befürwortet das Vorhaben von Unternehmer Christian Binder, sagt, dass dadurch Arbeitsplätze geschaffen werden und die Wirtschaft im Bayerischen Wald angekurbelt werde. Das andere Lager teilt die Meinung des Bund Naturschutzes sowie der Anwohner, stellt sich gegen das Projekt mit der Begründung, dass den Bayerwald insbesondere seine Natur ausmache und es um nachhaltiges Handeln gehe: „Es erfordert zwar etwas an Umstrukturierung und Optimierung, aber wenn man will, funktioniert Wirtschaft und Landschafts-/ Naturschutz gut nebeneinander.“
Hier geht’s zur Facebook-Diskussion:
https://www.facebook.com/dahogn/posts/2026391450719981
da Hog’n
Update: Rechtsanwalt Heidorn teilt am 1. September der Hog’n-Redaktion gegenüber mit: „Wir haben mit Schriftsätzen vom heutigen Tage für einen unserer Mandanten Klage gegen die Baugenehmigung in der Hauptsache eingereicht und gleichzeitig im einstweiligen Rechtsschutzverfahren einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage gestellt. Wir hoffen, auf diese Art und Weise einerseits das Bauvorhaben insgesamt zu verhindern, jedenfalls aber einen Baustopp zu erreichen. Ob Normenkontrolle gegen den Bebauungsplan eingelegt wird ist noch offen.“
- Praßreut: „Krasser Fall von Flächenfraß und politischem Versagen“
- „Wenn ein Dorf zum Parkplatz wird““ –> auch die Süddeutsche Zeitung berichtet über das Vorhaben in Praßreut