Sie erfüllen Aufgaben, die für eine funktionierende Gesellschaft unverzichtbar sind: Menschen in sozialen Berufen. Trotzdem ernten sie für ihre körperlich und psychisch oft anstrengende Arbeit kaum Anerkennung. Ihr Job ist nicht nur weit weniger angesehen als beispielsweise die Arbeit eines Ingenieurs oder Unternehmers – in sozialen Berufen verdient man meist auch nicht besonders gut. Warum gehen Menschen Jobs wie Krankenpfleger, Erzieher oder Altenpfleger trotzdem nach? Da Hogn trifft Vertreter ihres Berufsstandes, die erzählen, wo die größten Herausforderungen liegen – warum sie aber auch mit niemandem tauschen möchten. Folge 2: Krankenpfleger/Krankenschwester.
________________________
Waldkirchen/Freyung. Wenn man sie nach den Schattenseiten ihres Berufs fragt, überlegt Theresa Friedsam erst einmal lange. Dann fallen ihr zwar einige Dinge ein, die sie im Joballtag stören. Theresa liebt ihren Beruf allerdings so sehr, dass für sie das Positive deutlich überwiegt. Auch bei Anita Kellhammer merkt man sofort, dass die Arbeit als Krankenschwester zur Berufung geworden ist. Wieder zwei Beispiele für Menschen in einem sozialen Beruf, die nie Zweifel daran hatten, dass sie das, was sie machen, ihr Leben lang lieben werden. Doch die Patienten, auf die sie treffen, werden immer anspruchsvoller…
„Das muss man mögen“, sagen die meisten, wenn Theresa ihnen erzählt, dass sie Krankenschwester ist. „Viele haben Respekt vor dem, was ich tue“, berichtet die 21-Jährige aus Haus im Wald. „Sie zeigen mir aber gleichzeitig, dass sie es selbst nicht machen könnten.“ Sich um kranke Menschen kümmern, Nachttöpfe ausleeren, Infusionsnadeln in die Haut stechen: Das sind definitiv Dinge, die einem im Blut liegen müssen.
Die Aufgaben werden mehr – das Personal hingegen weniger
Anita Kellhammer (50) aus Waldkirchen wusste schon in der Schule, dass Krankenschwester „ihr“ Beruf werden soll. Auch nach 33 Jahren geht sie gerne zur Arbeit. Was sie seit Kurzem nicht mehr machen will, ist Schichtdienst. Sie hat ihr ganzes Berufsleben auf der Neugeborenenstation in Freyung verbracht und war zudem für die Betreuung ambulanter OP-Patientienten zuständig.
Jetzt arbeitet sie in der onkologischen Tagesklinik in Waldkirchen und betreut dort Krebspatienten. Hier hat sie ganz reguläre Arbeitszeiten von 8 bis 17 Uhr. Die Arbeit ist körperlich weniger anstrengend, da sie mehr organisatorische Aufgaben hat. Dafür ist sie aber jetzt mit schweren Patienten-Schicksalen konfrontiert – statt mit glücklichen, frischgebackenen Eltern… Trotzdem sei der Umgang mit schwer kranken Menschen oft leichter als mit kurzfristig Erkrankten: „Die meisten haben sich mit ihrer Krankheit arrangiert und sehen vieles mit Humor“, erzählt Anita. Beispielsweise sei einer Patientin mal die Perücke an der Jacke hängen geblieben und sie stand plötzlich mit Glatze da. „Sie hat darüber gelacht.“
Theresa arbeitet auf der Station für Gefäß- und Visceralchirurgie im Freyunger Krankenhaus. Sie erzählt von einem abwechslungsreichen Alltag, von Arbeitszeit, die schnell vergeht – die aber oft auch stressig werden kann: Am Personal wird gespart – und gleichzeitig müssen Krankenpfleger immer mehr Aufgaben erledigen. Viel davon ist Schreibkram. „Aber auch die Ärzte sehen vieles als selbstverständlich an, dass wir das übernehmen“, sagt Theresa.
Ebenso steigen die Ansprüche der Patienten. „Die Leute hinterfragen alles. Und sie lassen sich rundum umsorgen“, erzählt die junge Krankenschwester. Alte Menschen, die vor ihrem Krankenhausaufenthalt noch recht selbständig waren, könnten plötzlich nicht mehr allein zur Toilette gehen. Diabetiker nicht mehr selbst spritzen. Ganz besonders in Erinnerung geblieben ist Theresa eine ältere Dame, die dem Arzt gesagt hat, sie könne nicht nach Hause gehen, „weil sie daheim ja keine Glocke hat.“
„Vieles wird von oben gesteuert – das war früher nicht so“
Von anspruchsvollen Patienten berichtet auch Anita. „Manchmal muss man aufpassen, dass man nicht grantig wird“, sagt sie. Es gebe durchaus Kolleginnen, die nicht damit klar kommen, wenn ältere Patienten ständig klingeln und man als Schwester kilometerweit über die Gänge rennen muss. Auch frischgebackene Mütter ließen sich heute mehr „bedienen“ als früher. „Man darf es nicht so sehen, dass die Leute einem was Böses wollen“, sagt sie. Patienten, die die Krankenschwestern sehr fordern, halten sich Anita zufolge unterm Strich die Waage mit den dankbaren Krankenhaus-Insassen. „Die meisten sind in einer Ausnahmesituation, wenn sie im Krankenhaus liegen – und sind einfach nur froh, wenn ihnen jemand zur Seite steht.“ Als schwierig empfinde sie, dass die meisten heute viel im Internet lesen und sich immer weniger auf ihre Instinkte und ihr Gefühl verlassen.
„Wir müssen immer mehr Standards erfüllen“, sagt Anita. Im Laufe ihres Berufslebens sei alles immer durchgetakteter geworden. Es gibt Vorgaben, wie lange welche Pflegeschritte dauern dürfen, wie viele OPs pro Tag oder Woche durchgeführt werden sollten… „Vieles wird von oben gesteuert – das war früher nicht so“, berichtet die 50-Jährige.
Anhand der Fallzahlen werde berechnet, wie viel Personal eingesetzt werden darf. Im Bereich der ambulanten OPs, in dem Anita lange gearbeitet hat, sei das ein Problem: Hier werde ganz kurzfristig geplant, wie viele OPs anstehen und wie viel Personal dafür eingesetzt werden kann. „Da gibt es oft Phasen, wo Du die Arbeit kaum schaffst.“ Denn kurzfristig finden häufig mehr OPs statt als ursprünglich geplant. Und wenn ein Patient einmal mehr Zuneigung benötigt, sei dies im Plan genauso wenig vorgesehen.
Mehrarbeit entstehe ebenso dadurch, dass das Personal die Patienten auf stets vielfältigere Dinge hinweisen müsse, sagt Anita und fügt hinzu: „Es wird viel Angst gemacht.“ Auf der Neugeborenen-Station gebe es heutzutage einige Untersuchungen mehr als zu Beginn ihres Arbeitslebens. Ein Großteil sei sinnvoll – aber Untersuchungen brächten immer auch Unruhe mit sich. „Vielleicht sollten wir wieder lernen, eher das Natürliche zu beachten“, kommentiert Anita vielsagend.
Verdienst-Nachteil für Berufseinsteiger an den FRG-Kliniken
Theresa berichtet, dass jede ihrer Tätigkeiten genau dokumentiert werden muss – was im Arbeitsalltag natürlich extrem viel Zeit koste. Sie verstehe zwar, dass man sich an viele Vorgaben halten muss. „Das ist aber mit viel Papierkram verbunden, was die meisten nicht wissen“, sagt sie. Dass etwa bei einem Patienten mit einem gesetzlichen Betreuer jeder Therapieschritt mit diesem besprochen werden muss, mache die Arbeit manchmal sehr kompliziert.
Über ihr Gehalt als Pflegekräfte im öffentlichen Dienst beschweren sich beide nicht. „Eine Freundin von mir hat nach der Realschule im Büro angefangen – die verdient weniger als ich“, sagt Theresa. Durch Schicht- und Feiertagszulagen komme zum Grundgehalt einiges hinzu. Als Berufseinsteigerin nach der Ausbildung hat die 21-Jährige bei den FRG-Kliniken allerdings einen Nachteil: Sie ist noch nicht fest bei der Kliniken GmbH angestellt, sondern hat zunächst einen befristeten Vertrag bei der zugehörigen Service-GmbH. Dadurch verdient sie etwas weniger als ihre fest angestellten Kolleginnen. Ein System, das bisher an vielen Kliniken so üblich war. Allerdings, berichtet Theresa weiter, hätten andere Krankenhäuser dies bereits abgeschafft, um damit für Berufseinsteiger attraktiver zu sein. Aber auch in Freyung-Grafenau solle sich da wohl bald etwas ändern.
Für Theresa stand immer schon fest: Sie will nicht weg aus Freyung. „Andere wollen nach der Ausbildung erst mal Erfahrungen in einem größeren Haus sammeln“, erzählt sie. „Aber die meisten kommen bald zurück.“ In einem kleineren Krankenhaus wie Freyung sei die Atmosphäre einfach familiärer. Viele Patienten kämen regelmäßig. „Drehtürpatienten“ nennen die Krankenschwestern vor allem ältere Leute, die alle ein bis zwei Monate ein paar Tage auf der Station liegen. Theresa mag das: „Man hat zu ihnen einen ganz anderen Bezug.“ Sich um ihre Patienten einfühlsam kümmern zu können, das ist es, was sie an ihrem Beruf so schätzt.
„Plötzlich ist jemand tot – da schluckt man schon“
Schicksale mitzuerleben ist aber auch das Aufreibende an der Tätigkeit der Krankenschwestern. „Man darf nichts mit heim nehmen, nicht daheim noch mal alles nachspekulieren“, weiß Theresa. Anita berichtet von mehreren Fällen, die ihr durchaus nahe gegangen sind. Vor allem eine junge Mutter ist ihr in Erinnerung geblieben: „Sie hat nach der Geburt ihres zweiten Kindes einen Knoten in der Brust entdeckt.“ Brustkrebs wurde kurz darauf diagnostiziert.
Eine andere Frau aus der Krebstherapie wollte in Urlaub fahren, noch einmal ans Meer, als sie plötzlich verstarb. „Wenn Du dann die Todesanzeige liest, plötzlich ist jemand tot – da schluckt man schon“, sagt Anita. Aber sie gehört wie Theresa zu den Menschen, die damit umgehen können. Gleich in ihrer allerersten Nachtschicht als Lernschwester habe es einen Todesfall gegeben, erinnert sie sich. „Da beutelt’s dich schon durcheinander, da ist man etwas hilflos.“ Doch in solchen Situationen merke man eben auch ganz schnell, ob man für diesen Beruf „gemacht ist“ – oder eben nicht…
Sabine Simon
________________
Liebe Theresa, ich habe heuer Deine gute Pflege erfahren dürfen.
Ganz herzlichen Dank nochmal dafür – auch den anderen Kollegen?
Liebe Anita und liebe Theresa,
ich möchte euch und euren Kolleginnen und Kollegen für euren wertvollen Dienst an den kranken Mitmenschen danken.
Hoffentlich sind auch künftig noch genügend Menschen bereit, in der Pflege zu arbeiten. Die Gesellschaft, vertreten durch Krankenkassen und Politik, aber auch die Beitragszahler sollten bereit sein, dafür das notwendige Geld zur Verfügung zu stellen, damit dieser interessante, aber anstrengende Beruf attraktiv bleibt bzw. durch mehr Stellen und die Möglichkeit, diese zu besetzen, nicht zu belastend wird.
Angesichts des demografischen Wandels ist es sehr wichtig, die Attraktivität der Pflegeberufe zu steigern, sonst haben wir in einigen Jahren einen Pflegenotstand.