München. Bayernmetropole, Bierstadt, Global Player. Münchens Charakter ist vielseitig. In erster Linie will die selbsternannte „Weltstadt mit Herz“ aber eine Region vertreten. Hog’n-Mitarbeiter Lucas Sauter Orengo, ein echtes Münchener Kindl, ist der Frage nachgegangen, wie bayerisch die Landeshauptstadt heutzutage (noch) ist. Ein Rundgang mit gemischten Gefühlen – und ein niederbayerischer Lockruf…
Es ist Punkt zwölf Uhr mittags, das Glockenspiel am Münchner Marienplatz beginnt. Bewaffnet mit Smartphones und Spiegelreflexkameras wird gespannt auf das tägliche Spektakel gewartet. Vermutlich wissen die meisten nicht einmal um die Bedeutung dieser Tradition, doch das spielt keine große Rolle. Hauptsache: Pflichtprogrammpunkt Nummero eins erfolgreich abgehakt! Was genau dahinter steckt, auf welchem Platz sie denn da gerade verweilen, oder für was diese goldene Säule vor ihnen da überhaupt steht – das ist nicht unbedingt relevant. Keine 15 Minuten vergehen – und alles ist wieder vorbei. Besser ist’s, denn: Weitere zehn Sightseeing-Punkte warten bereits. Hektischer City-Tourismus: ein klassisches Phänomen, das sich in der Münchener City nahezu immer und überall beobachten lässt. Ob sich jeder von uns wohl auch so verhält, wenn es mal nach London, Rom oder Paris geht…?
Das Gemütliche, die Küche, Bierfeste und die schöne Landschaft
Doch München ist irgendwie anders. Die Stadt, die immer wächst und 2016 mal wieder etwa 14 Millionen Menschen aus allen Ecken der Welt anlockte, hat keinen Eifelturm, kein Kolloseum, kein Brandenburger Tor und keine Tower Bridge, sondern einen ganz eigenen Charakter. Schickeria, Laptop-Lederhos’n-Gesellschaft, G’schaftler und gleichzeitig eben: globale Metropole. München bewegt sich auf einem schmalen Grat: München ist Weltstadt auf der einen Seite – und ein 1,5-Millionen-Einwohner-Dorf auf der anderen. Keine andere europäische Weltstadt verfügt über eine derart ausgeprägte Verbundenheit zu ihrer Region wie München. Was sogar soweit führt, dass Menschen in fernen Ländern typisch bayerische Accessoires (Bierzelte, Maßkrüge und Lederhosen) mit ganz Deutschland assoziieren. Nicht auszuschließen, dass der ein oder andere Bewohner Hongkongs oder Rio de Janeiros fest davon überzeugt ist, München sei auch die Bundeshauptstadt. Doch welche kulturellen Folgen bringt dieser schmale Grat mit sich?
Zunächst einmal sollte die Frage geklärt werden: Was ist eigentlich typisch bayerisch? Ist es tatsächlich damit getan, schnell mal die Lederhos’n-und-Dirndl-Klischees zu bedienen? Am besten sollten das ja die Münchner selber wissen. „Typisch bayerisch? Hm, schwer zu sagen. Für mich persönlich bedeutet das einfach eine Art Mentalität. Das Gemütliche, die Küche, Bierfeste und die schöne Landschaft.“ Der 24-jährige Rene, der gerade über den Stachus läuft, ist gebürtiger Münchner mit serbischen Wurzeln. München ist für ihn „absolut Heimatstadt“ und nur schwer zu ersetzen. Die Frage, inwieweit für ihn „Minga“ die bayerischen Werte repräsentiert, ist für ihn nicht ganz einfach zu beantworten: „Auf jeden Fall erkannt man das am Flair – vor allem hier in der Innenstadt. Allein wegen der Wiesn ist das ja schon klar.“
München hat viele Seiten, die sie immer wieder in den Rankings zu den lebenswertesten Städten weltweit macht. Zuletzt wurde die sogenannte nördlichste Stadt Italiens erneut unter die Top 5 der lebenswertesten Städte gewählt. Daniela, 59, flaniert die Theatinerstraße entlang und hat ihre eigene Meinung zum bayerischen Flair in München: „Für mich ist gerade das Bummeln das Schönste an der Stadt. Dieses Gemütliche, fast Dörfliche. Das spürt man einfach – egal wo.“ Das Attribut „gemütlich“ scheint das Sinnbild schlechthin für die bayerische Mentalität zu sein.
Business, Baustellen, Wohnraummangel und Gentrifizierung
Neben Landschaft, Küche, Mentalität und Tradition zählt natürlich auch der Dialekt zum Aushängeschild einer Region. Und dieser ist in München scheinbar doch noch nicht ausgestorben. Florian, jobbt an einem Kiosk an der Isar. Im Sommer stehen die Leute hier für Eis und Getränke Schlange. „Freilich ist München boarisch. Muss‘ ma halt pflegen – aber da gibt’s schon g’nuag, die des machen“, berichtet der 35-Jährige in gepflegter Mundart. Doch er hegt auch so seine Zweifel, was das Bayerische in Münchens Innenstadt angeht: „Ich denke, dass man dieses Nette und Gemütliche schon auch häufig ganz gezielt suchen muss. Überall Business, Baustellen ohne Ende, Wohnraummangel oder auch Gentrifizierung – da bleibt oft nicht mehr viel Viktualienmarkt-Feeling übrig.“
International Munich also? Im Kontext eines gefährdeten Idylls mit Biergärten, Wirtschaften, Dialekt und Bier? Wo wir auch schon beim fast wichtigsten Punkt der Region wären: Bier. In München sind sechs Brauereien angesiedelt: Augustiner, Paulaner, Spaten, Löwenbräu, Hofbräu und Hacker Pschorr.
In der Landsbergerstraße steht die Augustiner-Brauerei. Jakob, 24-jähriger Mitarbeiter, hat seine eigene Meinung, welche Bedeutung das Bier für München hat: „Das zeichnet uns halt aus. Jeder Touri, der herkommt, der bringt Durst mit.“ Allein zum Oktoberfest kommen Jahr für Jahr Millionen Gäste aus aller Welt in die bayerische Landeshauptstadt gereist. Und sie, die Wiesn, verkörpert genau das, was momentan in München passiert: Ein jahrhundertealtes Fest, Sinnbild für Tradition und Historie, wird immer mehr mit den Folgen der Globalisierung und Massenabfertigung konfrontiert. Zweifelsfrei ist es begrüßenswert, wenn derart viele Leute jenes bayerische Lebensgefühl teilen wollen – trotzdem bringt dies einen Kampf mit sich: den Kampf zwischen Altehrwürdigem und künstlicher Tradition.
Bayerisch bleiben – oder zum „Global Player“ mutieren?
Falls München diesen Spagat nicht schafft, gibt es möglicherweise einige Leute, die dem aktuellen Trend widersprechen und genau das Gegenteil wollen: nämlich raus aus München. Und vielleicht geht es jenen Menschen genau darum: in ihrem Bayern bleiben zu wollen, da sie erkannt haben, dass sie ihr Bayerisch-Sein in der großen Stadt nicht mehr ausleben können. Freyung-Grafenau, der östlichste Landkreis Bayerns, wirbt momentan unter dem Slogan „Mehr als du erwartest“ um diejenigen Münchner, die gut ausgebildet sind und einen Mehrwert für die Woid-Region bilden sollen, indem sie in den Bayerischen Wald umziehen und sich dort eine „lebenswertere“ Existenz als in der Großstadt aufbauen. Ist das wirklich eine Option? Rene, der Münchner mit serbischen Wurzeln hat so seine Schwierigkeiten damit: „Ehrlich gesagt ist das keine Option für mich. Ich fühle mich hier zu wohl, als dass ich von hier wegziehen will. Und aufs Land zieht’s mich jetzt auch weniger. Vielleicht später mal, in vielen Jahren!“
Daniela, die gebürtig aus Thüringen kommt, sieht dies etwas anders. Sie hat ihre Kindheit in ländlicherer Umgebung verbracht und kann sich eine Rückkehr durchaus vorstellen – auch in bayerische Landkreise. Isar-Wirt Florian hat folgende Antwort parat: „Meine Eltern kommen aus Passau. Niederbayern kenn ich also echt guad. Ich bin da auch öfters. Ich bin auch nur wegen dem Studium in München – und bleib auch erstmal da. Aber grundsätzlich: Freilich kann ich mir’s vorstellen.“ Für den Augustiner-Mitarbeiter Jakob stellt sich diese Frage derzeit so ganz und gar nicht – er müsse wegen seiner Arbeitstelle der Landeshauptstadt treu bleiben, sagt er.
Fazit des stichprobenartigen München-Rundgangs: Von der Weltstadt nach Niederbayern – das ist nicht für jeden denkbar. Doch wer weiß: Vielleicht ändert sich die Lage in Zukunft und die Münchner denken verstärkt um. Dies dürfte vor allem auch von der Frage abhängen, welchen Weg die Stadt künftig einschlagen wird. Bayerisch und Münchnerisch bleiben – oder endgültig zum „Global Player“ mutieren. Die Massen vor dem Glockenspiel am Marienplatz wird das ohnehin wenig stören. Der nächste Städtetrip wartet schon…
Text und Fotos: Lucas Sauter Orengo
schlecht recherchiert.Sechs Brauereien? Spaten und Hacker-Pschorr produzieren nicht mehr selbst.Spaten bei Löwenbräu und Hacker-Pschorr bei Paulaner. Und was ist mit den anderen Brauereien: Haderner Bräu, Giesinger Bräu, Forschungsbrauerei und die vielen kleinen Gasthaus und Kleinbrauereien sowie Craft Bier Brauereien
Die genannten 6 Brauereien sind auf dem Oktoberfest mit Ihren Zelten vertreten und nur deshalb genannt worden