Viechtach. „Einen Moment bitte! Oder zwei?„ (auf Tschechisch: „Okamžik prosím! Nebo dva?„) heißt das grenzen-überschreitende Buch-, Internet-, Vortrags- und Ausstellungsprojekt der Fotografen Johannes Maria Haslinger und Herbert Pöhnl („Hinterbayern“) sowie des Schriftstellers Bernhard Setzwein, in dessen Mittelpunkt bayerisch-böhmische Grenzbegegnungen stehen. Dabei bitten sie die Menschen aus der geografischen Mitte Europas, einen kurzen Moment innezuhalten und ihnen ihre Gedanken zum Thema Grenze mitzuteilen. Diese wertvollen grenzüberschreitenden Momente sind fotografisch-literarisch festgehalten und jüngst in Buchform veröffentlicht worden. Auch ein dazugehöriges Live-Programm mit Foto-Ausstellung und Lesung wurde von den drei Autoren (unter Mitwirkung von Pianist Sven Ochsenbauer) gestaltet. Dabei geht es in erster Linie um das Bereiningen althergebrachter Klischees sowie um das Überdenken von Grenzen in den Köpfen der Leute, wie Herbert Pöhnl im Hog’n-Interview erzählt.
„Nicht Grenzen überwinden helfen und zugleich neue definieren“
„Einen Moment bitte! Oder zwei?“ nennt sich das grenzübergreifende Projekt, das Sie gemeinsam mit Bernhard Setzwein und Johannes M. Haslinger umgesetzt haben. Worum geht’s da genau?
Der Ausgangspunkt ist mein Buch über den Nationalpark Bayerischer Wald aus dem Jahr 2012: Der halbwilde Wald. Ich wollte ein weiteres Buch schreiben über den Nationalpark Šumava plus Bayerwald – so als gäbe es keine Grenze im großen Wald. Zugleich wollte ich Menschen drumherum interviewen, porträtieren, fragen, wie sie zur Region stehen, zur Kultur, zur Globalisierung, zum Naturschutz, zur Historie. Das waren vor vier Jahren die ersten Überlegungen zum Projekt.
Meine Arbeiten, vor allem die Recherchen, haben sich dann im Laufe der Zeit neu ausgerichtet. Die Großregion zwischen Donau und Moldau war zunehmend das Thema – und auch immer mehr die Grenze und ihre Überwindung. 2014 begannen die Arbeiten an den ersten Gruppen- und Einzelporträts. Zuerst eher regional, dann zunehmend global.
Im selben Jahr kam Johannes Haslinger dazu – zu zweit ist so ein Thema deutlich besser zu stemmen. Ab 2016 waren es dann fast nur mehr multi-nationale Gruppen – meistens Tschechen und Deutsche, Bayern und Böhmen – die im Fokus des Projekts standen. Aber auch darüber hinaus. Man kann nicht Grenzen überwinden helfen und zugleich neue definieren. Das ist auch der Zweck des Projekts: über Grenzen nachzudenken, auch über ihre Überwindung, ohne dass wir Europa retten wollen – es geht um ein weiteres Mosaiksteinchen pro Europa.
Heuer, 2016, haben wir schließlich Bernhard Setzwein erfolgreich gebeten, unsere Fotografien textlich einzuordnen.
„Der Begriff des Zusammen-Lebens ist natürlich unscharf“
Wie betrachten Sie das Zusammenleben von Bayern und Tschechen bzw. Böhmen heute, 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs?
Durch den Fall des Eisernen Vorhangs ist natürlich eine wesentliche Veränderung und Verbesserung eingetreten. Das Zusammenleben ist deutlich verstärkt und verbessert, besonders im Bereich der Wirtschaft. Trotzdem ist der Begriff des Zusammen-Lebens natürlich unscharf und ein vielleicht zu hoher Anspruch. Mir würde eine ganz normale Nachbarschaft – vergleichbar mit Österreich – schon genügen. Leider haben wir diejenigen nicht porträtiert und interviewt, die noch mehr oder weniger starke Feindbilder pflegen.
Welche Vorurteile, welche Grenzen gilt es (immer noch) zu überwinden – und: Woher kommen diese eigentlich?
Vorurteile, Klischees, also Grenzen im Kopf, gibt es natürlich zahlreiche. Die werden in vielen Fällen auch bleiben – jeder arbeitet selber daran. Das kann nur gelöst werden durch Besuche, durch ein Zuhören, durch ein Sich-Öffnen. Überwiegend resultieren Vorurteile aus der Ängstlichkeit gegenüber dem Neuen, dem Fremden. Oft stecken Egoismen und Interessen dahinter, historische Barrieren. Besonders die kulturellen Grenzen gehen tief und sind nur zu reduzieren durch sich Zeit lassen einerseits und aktiv daran arbeiten andererseits.
Worin sind sich Bayern und Tschechen bzw. Böhmen ähnlich? Was unterscheidet sie voneinander?
Jetzt kommen wir genau in diese Klischee-Richtung – und ich will die nicht verspüren oder finden, sondern auflockern. Überall in Bayern und Tschechien gibt es Biertrinker und Anti-Alkoholiker, lockere Typen und ernste, offene und verschlossene, globale und nationale.
„Zu starke Fixierung verhindert eine offene Betrachtungsweise“
Was waren Ihrer Meinung nach die bisher schönsten Momente des Projekts? Welche die traurigsten, bewegendsten?
Schön im Sinne des Fotografen sind jene Motive, die schwer realisierbar sind. Stichwort: Nachtleben, Minderheiten. Diejenigen, die zufällig entstehen wie die Skater in Österreich oder die Köchinnen in Oberplan. Oder diejenigen, die sehr emotional sind wie etwa die jüdische Gedenkfeier in Hartmanice. Das sind Momente, die selten zu bekommen sind, da hilft dann auch ein bisserl der Bekanntheitsgrad, der mittlerweile wirkt. Trotzdem versuche ich, nicht zu werten. Letztlich ist jedes Motiv wichtig und alle sind gleichwertig. Die Vielfalt ist es, die wiederum einen ungefähren Gesamteindruck vermittelt. Je mehr vorgestellte Grenzüberwinder, umso besser.
Wie viele Menschen haben Sie im Rahmen Ihres Projekts porträtiert? Nach welchen Kriterien sind Sie bei der Auswahl der Menschen vorgegangen?
Es sind sicher Hunderte, im Buch ist nur ein Teil vorgestellt. Die Kriterien waren und sind immer in der Frage begründet: Was tragen sie dazu bei, um andere Sichtweisen vorzustellen, andere Milieus? Wesentliche Kriterien waren die Offenheit und der Humor.
Was bedeutet aus Ihrer Sicht der Begriff „Grenze“?
Alles, was dazu dient, sich zu definieren, abzugrenzen, auszuschließen. Auch der Begriff Heimat fällt für mich darunter. Die wird bejubelt und als bestens beschrieben. Es ist das Eigene, das Bekannte und Gewohnte und natürlich Allerbeste. Eine zu starke Fixierung verhindert eine offene, vorurteilsfreie Betrachtungsweise des Rests der Welt.
Interview: Stephan Hörhammer