Regen/Freyung-Grafenau. Nicht nur das Alter (Gruber: 34 Jahre; Adam: 31) und das Sternzeichen („Schütze“) vereint die beiden. Sebastian Gruber (CSU), Landrat des Landkreises Freyung-Grafenau, und Regens Landrat Michael Adam (SPD) haben in vielerlei Hinsicht mit den selben Problemen zu kämpfen. Die Struktur der Krankenhäuser, die momentane Flüchtlingssituation oder die Ausrichtung des Tourismus – oftmals ist die enge Zusammenarbeit der beiden Bayerwald-Politiker, die sich eigenen Aussagen zufolge auch persönlich gut verstehen, fast schon zwangsläufig. Im großen Jahresabschluss-Interview mit dem Onlinemagazin „da Hog’n“ blicken Sebastian Gruber und Michael Adam auf das bald endende Jahr 2015 – mit all seinen kommunalpolitischen und überregionalen Höhepunkten – im positiven wie im negativen Sinne zurück.
Herr Adam, Herr Gruber: Verstehen Sie uns bitte nicht falsch, aber: Wann wird eigentlich einer von Ihnen beiden „überflüssig“ – man hört ja immer wieder davon, dass die Landkreise Freyung-Grafenau und Regen durch den viel zitierten „Bayerwald-Landkreis“ ersetzt werden…
Sebastian Gruber: (lacht) Ich gehe nicht davon, dass es in absehbarer Zeit auf Landkreis-Ebene zu einer Gebietsreform kommen wird. Wenn, dann müsste es ein größerer Wurf werden, das heißt: Alle Strukturen müssten angepasst werden – und ich glaube nicht, dass die höhere Politik das beabsichtigt. Aus meiner Sicht besteht auch keine Notwendigkeit, die Landkreise Freyung-Grafenau und Regen zusammenzuführen.
Michael Adam: Beobachtet man andere Bundesländer wie zum Beispiel Baden-Württemberg, stellt man fest, dass dort in den vergangenen Jahren genau dieser Weg gegangen worden ist. Die Landespolitik hat dabei jedoch schlechte politische Erfahrungen gesammelt. In Bayern weiß man, dass man die Finger davon lassen sollte. Ratsam wäre vielmehr, einen anderen Weg zu gehen – wie zum Beispiel die interkommunalen Zusammenarbeiten. (überlegt, schaut zu Sebastian Gruber). Trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, dass wir beide als Landräte der Landkreise Freyung-Grafenau und Regen in Rente gehen werden (lacht)…
„Sowas wird nie in einem persönlichen Scharmützel enden“
In welchen Bereichen arbeiten Ihre beiden Landkreise zusammen?
Michael Adam: Es gibt einige Schnittstellen. Da ergeben sich viele Bereiche zwangsläufig, allein schon, wenn man das Thema ILE Bayerwald herausgreift. In diesem Zusammenhang haben wir klar signalisiert, dass innerhalb der fünf daran teilnehmenden Landkreise die Musik bei uns in Regen und in Freyung-Grafenau spielen muss. Gerade in Sachen ländliche Entwicklung arbeiten wir vermehrt zusammen – wie zum Beispiel beim ÖPNV. Wir versuchen auch, uns gegenseitig keine Konkurrenz zu machen.
Sebastian Gruber: Es gibt immer wieder Themen, in deren Verlauf wir zusammenarbeiten. Das funktioniert aber auch nur, wenn die beiden Landräte gut miteinander auskommen. Die wichtigsten Dinge, die wir gemeinsam in Angriff nehmen, sind, wie Michael Adam schon gesagt hat, der ÖPNV, aber auch der Tourismus. Darüber hinaus dürfen wir ein gemeinsames Schulamt vorhalten.
Michael Adam: In Niederbayern ist es generell so, dass die Landräte gut zusammenarbeiten. Da passt kein Blatt Papier dazwischen (Sebastian Gruber nickt zustimmend).
Kirchturmdenken gibt es also auf Landkreis-Ebene nicht?
Sebastian Gruber: Es kommt natürlich immer wieder mal vor, dass man auf sachlicher Ebene eine andere Meinung hat als der Landrats-Kollege. Sowas wird aber nie in einem persönlichen Scharmützel enden.
Michael Adam: Genau so ist es. Solche Dinge werden nicht über die Medien ausgetragen, sondern intern diskutiert.
Das Jahr neigt sich dem Ende zu. Was waren ihre persönlichen Highlights 2015?
Michael Adam: Ganz klar die Ortsumgehung Kirchberg im Wald, die nicht nur als solche verstanden werden darf, sondern als Anbindung des kompletten Zwieseler Winkels an die Autobahn. 40 Jahre lang ist das Thema bereits diskutiert worden – und nun haben wir endgültig eine Lösung gefunden. Ansonsten war das Jahr hauptsächlich von Sachthemen geprägt, bei denen weder Unmut noch Freude aufkommt – wie zum Beispiel Asyl und Krankenhäuser.
Sebastian Gruber: Prägend in unserem Landkreis war natürlich die Diskussion um die Krankenhäuser. Als ‚Highlight‘ ist in diesem Zusammenhang eher die Art und Weise zu bezeichnen, wie der Landkreis und vor allem der Kreistag mit diesem brisanten Thema umgegangen sind. Die Diskussion war sachlich und neutral, es wurden keine größeren, langfristigen Flurschäden hinterlassen. Ein klares Zeichen an die Bevölkerung, dass die Konzentration der stationären Versorgung in Freyung und Grafenau nicht gleichzusetzen ist mit dem Ende des medizinischen Angebotes am Standort Waldkirchen.
„Freilich gab’s nach der Krankenhaus-Sache böse Stimmen“
Michael Adam: Ich habe zu Beginn dieser Diskussion zum Kollegen Gruber gesagt, dass es aller Ehren wert ist, dass er gleich am Anfang seiner Amtszeit eine solch große Hypothek aufnimmt. Deshalb bin ich meinem Vorgänger sehr dankbar, dass die Thematik eines dritten Krankenhauses im Landkreis Regen früh in Angriff genommen worden ist. (An Sebastian Gruber gerichtet:) Die Leistung, die Du in diesem Bereich vollbracht hast, muss man sehr hoch einschätzen. In meiner Außenwahrnehmung ist das Ganze sachlich und neutral abgehandelt worden. Respekt.
Sebastian Gruber: Unser Amt bringt einige Verpflichtungen mit sich. Eine davon ist, gewisse mittelfristige Fragen zu beantworten. Freilich hat es nach der Krankenhaus-Sache böse Stimmen gegeben. Es hat aber auch einige Bürger gegeben, die froh waren, dass sich in dieser Hinsicht endlich mal was tut.
Wann ist eigentlich die Entscheidung gefallen, dass die Krankenhausreform zu Ihrem ersten, großen Thema wird?
Sebastian Gruber: Während des Wahlkampfes hat man bereits gemerkt, dass die Krankenhausstruktur ein wichtiges und bewegendes Thema ist. Schon damals waren die Meinungen aber sehr sachlich. Vielen in der Bevölkerung war klar, dass die Dreihäusigkeit nicht ewig bestehen wird. Im Übrigen gab es im Wahlkampf kaum eine Veranstaltung, auf der ich nicht auf diese Situation von Bürgern angesprochen wurde. Zu Beginn meiner Periode haben die Fraktionen dann auch schnell erkannt, dass in dieser Hinsicht etwas geschehen muss.
Ein großes Plus, die Reform anzupacken, war und ist der Zeitpunkt. Wir stehen derzeit innerhalb der Kliniken gGmbH finanziell nicht mit dem Rücken zur Wand. Es war nicht so wie 2011/12 – damals hatten wir erhebliche wirtschaftliche Probleme. In der Folge war man gezwungen, von heute auf morgen ein komplett neues Konzept zu erstellen. Inzwischen entwickeln sich die Betriebskosten in eine gute Richtung – medizinsch hakt es aber noch an der einen oder anderen Stelle.
Herr Adam: Sind im Landkreis Regen über kurz oder lang ähnliche strukturellen Maßnahmen nötig?
Michael Adam: Nein, definitiv nicht. Wie schon vorher angedeutet, haben wir den Luxus, dass das dritte Haus in Regen schon in den 80er Jahren geschlossen worden ist. Jeder Landkreis hat aber seine eigenen Baustellen. Vor meiner Wahl zum Landrat hieß es noch, wir haben im Kommunalunternehmen ein leichtes Plus. Nachdem ich im Amt war, wurde plötzlich ein hohes Minus prognostiziert… In der Folge sind einige Dinge umgestellt worden. Zieht man die Kosten für die Geburtshilfe in Zwiesel ab, befinden wir uns inzwischen in einem deutlich ruhigeren Fahrwasser.
Neben den baulichen Maßnahmen an beiden Häusern hat uns vor allem der Aufbau des MVZ (Anmerk. d. Red: Medizinisches Versorgungszentrum) beschäftigt. (Schaut zu Sebastian Gruber) Das wird ja Euch demnächst auch ereilen. Das ist eine große Chance, Facharztstellen zu halten oder sogar zurück zu gewinnen. Diese Sitze folgen in der Regel den Krankenhaus-Standorten, woraufhin in Regen fast nur noch Hausärzte angesiedelt waren. Deshalb haben wir dort neue Schwerpunkte aufgebaut.
„Zum 1. April kann die ambulante Onkologie starten“
Herr Gruber: Waldkirchens Bürgermeister Heinz Pollak hatte an Sie eine Unterschriftenliste mit knapp 23.000 Namen von Bürgern übergeben, die sich für den Erhalt des Krankenhauses aussprechen. Was ist aus dieser Liste geworden?
Sebastian Gruber: Es war ein sehr starkes Zeichen der Bürgerschaft, das mir übertragen worden ist. Rechtsverbindlich ist die Unterschriftenliste allerdings nicht. Dennoch habe ich wahrgenommen, dass das ein starkes Symbol war.
Gibt’s Neuigkeiten hinsichtlich der Nachnutzung der Waldkirchener Akutversorgung?
Sebastian Gruber: Ja. Zum 1. April 2016 kann die ambulante Onkologie in Waldkirchen starten – ein wesentlicher Bestandteil des Nachnutzungskonzeptes. Ein deutlicher Mehrwert für die Region. Bei allen anderen Themen sind wir momentan dran, gerade was die Kinder- und Jugendpsychatrie am Standort Waldkirchen betrifft. (An Michael Adam gerichtet:) Darüber müsstest ja auch Du in Deiner Funktion als Bezirksrat Bescheid wissen.
Michael Adam: Ja, das stimmt. Als Regener muss man im Ernstfall bei Nacht und Nebel nach Landshut oder Regensburg. (Schaut zu Sebastian Gruber) Sollte es Dir gelingen, diesen medizinischen Bereich nach Waldkirchen zu bringen, ist das ein großer Wurf.
Herr Gruber: Welche weiteren Strukturreformen sind im Landkreis Freyung-Grafenau geplant? Provokant gefragt: Wie lange gibt es das Krankenhaus in Grafenau noch?
Sebastian Gruber: Der Grafenauer Standort wird über 2018 hinaus Bestand haben. Im Gesundheitssektor kann man maximal zehn bis 15 Jahre in die Zukunft planen – je nachdem, was die große Politik vorhat. Allerdings hat sich das Haus in Grafenau sehr verändert. Die dort neu eingerichtete Kardiologie läuft mittlerweile sehr gut – und übertrifft sämtliche Erwartungen.
Michael Adam: Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Landkreisen ist vor allem in diesem Bereich vorbildlich. Auch viele aus dem Landkreis Regen nutzen das Angebot in Grafenau.
Sebastian Gruber: Das ist generell der richtige Weg, was die Strukturen betrifft. Viele Bürger und Touristen wissen ohnehin nicht, wo genau die Landkreisgrenzen liegen (Michael Adam nickt zustimmend). Deshalb ist es umso wichtiger, dass sich die Protagonisten regelmäßig austauschen. Es hätte keiner was davon, wenn wir Doppelstrukturen vorhalten.
Michael Adam: In beiden Landkreisen sind wir – nach dem die Strukturreform durch ist – von der Bettenanzahl her nicht über den Landesschnitt. Wir sind also nicht gefährdet, wenn es um den weiteren Abbau von Betten geht – das heißt: Mit jeweils zwei Häusern mit guter Akzentuierung sind wir für die Zukunft gewappnet.
Michael Adam: „Es geht um Menschen – nicht um einen Sack Reis“
Das beherrschende Thema im Jahr 2015 war die sogenannte Flüchtlingskrise. Herr Adam, sind Sie zufrieden mit der Bewältigung der Flüchtlingssituation auf regionaler und überregionaler Ebene?
Michael Adam: Ich sehe das Ganze zweigeteilt. Im niederbayerischen Kontext haben wir das Thema sehr gut abgearbeitet, uns gegenseitig ausgeholfen und miteinander bewältigt. Zudem sind wir über das Maß hinausgegangen, was getan werden muss. Gerade die Integration haben wir vor dem Hintergrund des demographischen Wandels nicht nach den Buchstaben des Gesetzes abgearbeitet. Leider kann ich momentan abends nicht mehr fernsehen…
Warum?
Michael Adam: Schaue ich Talkshows, in denen sich einschlägige Politiker zur Flüchtlingsproblematik äußern, bekomme ich Lust, das Fernsehgerät aus dem Fenster zu schmeißen. Egal, ob die Kanzlerin, der Vize-Kanzler oder der Ministerpräsident von Thüringen – was dort erzählt wird, ist teils zum Haare raufen. Diese Aussagen sind losgelöst von der täglichen Praxis. Wir bekommen nicht nur keine Unterstützung, es werden auch Diskussionen geführt, die unnötig sind. ‚Wir schaffen das‘ oder die Aufnahmebegrenzung – das sind zwar gut gemeinte Ideen, leider fehlt aber eine Erklärung, wie das genau laufen soll. Es gibt keine Antwort auf viele Fragen. Ich rate aber jeden, sich die Asylproblematik bei uns vor Ort anzuschauen. Es geht um Menschen – und nicht um einen Sack Reis, der einfach zurückgeschickt werden kann.
Wir reden über Menschenwürde. Deshalb ist es auch wichtig, unsere eigenen Mitarbeiter zu beachten. Unsere Leute im Ausländeramt leisten gute Arbeit, geradezu Unmenschliches. Wo bleibt da die Menschenwürde?
Sebastian Gruber: Ich kann unterstreichen, was der Kollege Adam gerade eben gesagt hat. Vor Ort haben wir das alles relativ gut hinbekommen. Man merkt, dass sehr viele Pragmatiker am Werk sind. In Niederbayern habe ich das Ganze nie chaotisch empfunden – auch wenn viele Medien derart über die Situation an den Grenzen berichtet haben. Doch dort gibt es andere Verantwortungsträger.
Auf bundesdeutscher Ebene merkt man einfach, dass Berlin in vielerlei Hinsicht sehr, sehr weit entfernt ist. Ausnehmen möchte ich dabei die regionalen Abgeordneten, die sehr wohl wissen, wie sich die Situation vor Ort gestaltet. Die Lösungen, die für uns wichtig wären, fehlen mir aber noch. Das Jahr 2015 hat man aufgrund des Einsatzes vieler Ehrenamtlicher gut bewerkstelligt. Noch einmal so ein Jahr wird aber nicht schaffbar sein – auch nicht in der Verwaltung.
Man wünscht sich also mehr Personal?
Michael Adam: Ja, ich kann das präzisieren. Wir können das vor Ort lösen, wir sind gut aufgestellt. Ich habe aber die Erwartung, dass das Personal bezahlt wird, das wir in Folge der Flüchtlingswelle einsetzen. Außerdem: Wenn vom Bundesamt für Migration verkündet wird, dass die Asylverfahren schnell abgearbeitet werden, kann ich hunderte Beispiele von Flüchtlingen nennen, die auf eine Bearbeitung warten, seitdem ich Landrat bin…
„Bei allem Ärger: In Bayern gehen die Uhren etwas anders“
Verliert man da eigentlich mit der Zeit den Glauben an die Politik-Oberen?
Michael Adam: Durchaus. Doch, halt! Eigentlich habe ich ihn noch nie gehabt – zumindest nicht hinsichtlich der Bundesverwaltung. Wenn man sieht, wie die arbeiten, kann ich mich über die bayerische Staatsregierung nur positiv äußern. Bei allem Ärger, den man mit Ministerien hat: In Bayern gehen die Uhren etwas anders. Beim Bund mahlen die Mühlen sehr langsam.
Wie weit ist man von Zwangszuweisungen entfernt?
Sebastian Gruber: Solange wir die Quote nach dem Königsteiner Schlüssel erfüllen, gehe ich davon aus, dass wir keine Zwangszuweisungen bekommen – obwohl es auch 2015 durchaus der Fall war, dass wir ab und an eine gewisse Anzahl aufnehmen mussten, da nirgendwo anders mehr Platz war. Wir müssen auch darauf achten, dass eine gewisse Ausgewogenheit herrscht.
Michael Adam: So problembehaftet es manchmal ist, Bayerwald-Landrat zu sein: In diesem Punkt haben wir einen Vorteil, denn: Wir haben einige touristische Betriebe, die für die Unterbringung von Flüchtlingen genutzt werden können – und müssen nicht auf aufblasbare Unterkünfte zurückgreifen…
Wie nimmt die Bevölkerung die Flüchtlingsproblematik wahr? Vernehmen Sie das Brodeln?
Sebastian Gruber: Was mich besonders stört, ist, dass es nur ’schwarz‘ oder ‚weiß‘ gibt. Diese Thematik polarisiert ungemein. Es gibt häufig nur noch die absoluten Befürworter und die komplett andere Seite. Dazwischen gibt es eigentlich relativ wenige. Am Stammtisch wird dieses Thema eigentlich immer diskutiert. Meiner Meinung nach spiegeln die Berichte in den Medien nicht wider, was des Volkes Seele spricht. Die kritischen Stimmen werden immer lauter – aber eher vor dem Hintergrund vieler offener Fragen. Wie geht es weiter? Wie schaffen wir das? Wie viele kommen noch? Es geht häufig nicht um die Humanität, sondern um die Organisation und Logistik.
Michael Adam: Es gibt wirklich nur sehr, sehr wenige Menschen, die zu diesem Thema keine Meinung haben. Es gibt tatsächlich nur ’schwarz‘ oder ‚weiß“ – mit jeweiligen Spitzen. Zum einen gibt es diejenigen Menschen, die alles, was Flüchtlinge betrifft, aufs Äußerste kritisieren. Zum anderen gibt es Menschen, die das Ehrenamt zur Weißglut treiben, die es mit der Humanität zu ernst nehmen. Es sind Extreme am Werk.
„Das wird sich in den Wahlergebnissen niederschlagen“
Sebastian Gruber: Das nehme ich ähnlich wahr. Zum Schutze der Ehrenamtlichen muss man sagen, dass sie viel Engagement reingehängt haben. Irgendwann wird man aber feststellen, dass ihnen die Luft ausgeht. Viele begleiten die erste Generation der angekommenen Flüchtlinge, erwarten dann aber eine Ablösung – oder verlangen staatliche Unterstützung. Eine schwierige Entwicklung. Teilweise ist das Engagement längerfristig nicht auszuhalten.
Steht die Zivilgesellschaft vor der Zerreißprobe?
Sebastian Gruber: Ich befürchte: Ja. Das wird sich unter Umständen in Wahlergebnissen niederschlagen. Mitte März sind die nächsten Landtageswahlen im Süden Deutschlands. Da wird man deutlich verspüren, dass es ähnlich verläuft wie in Frankreich oder Österreich.
Michael Adam: Da bin ich einer Meinung mit dem Kollegen Gruber. Ergänzend dazu: Die Wahlergebnisse werden aber nicht kommen, weil ein Teil der Bevölkerung den stark pigmentieren Mitbürger nicht haben will. Das Problem ist vielmehr die Perspektivlosigkeit. Endet der Flüchtlingsstrom in absehbarer Zeit, denke ich, können die meisten Bürger das akzeptieren. Momentan wissen wir aber nicht, wo das Ganze einmal enden wird – und genau das ist der springende Punkt.
Unsere östlichen Nachbarn nehmen so gut wie keine Flüchtlinge auf. Wie bewerten Sie das Verhalten Tschechiens hinsichtlich der Aufnahme von Flüchtlingen?
Sebastian Gruber: Bei einem Gespräch mit tschechischen Parlamentariern in Prag haben wir erfahren, dass die dortigen Politiker in dieser Hinsicht keine Verpflichtung gegenüber Europa sehen. Eine weitere Meinung der Abgeordneten: ‚Die wollen ja gar nicht bei uns bleiben. Unsere Anreize sind eh nicht so attraktiv wie in Deutschland‘. Da kann man den Tschechen auch nicht großartig wiedersprechen. Das könnte man durchaus auch so verstehen.
Es könnte aber auch eine bequeme Ausrede sein.
Sebastian Gruber: Das glaube ich nicht. Europäische Solidarität hieße in diesem Zusammenhang eine ausgeglichene Lastenverteilung – das ist hier aber graue Theorie.
Michael Adam: Bei allem Willen einer Zusammenarbeit und einem guten zwischenmenschlichen Verhältnis mit den lokalen Politikern, ist die Bereitschaft, sich großen politischen Themen, die die Deutschen mitbringen, relativ gering. Die tschechischen Nachbarn reagieren sehr empfindlich, wenn von deutscher Seiter her versucht wird, sie in die Pflicht zu nehmen. Oftmals wird man dann mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass Tschechien ein souveräner Staat sei. Passt das Thema, ist die Zusammenarbeit hervorragend. Passt es nicht, bekommt man teils sehr deutliche Aussagen.
„Europa wird nicht scheitern, aber es justiert sich neu“
Ist das Projekt „EU“ gescheitert?
Michael Adam: Nein, das glaube ich nicht. Aber ich bin der Meinung, dass man einem osteuropäischen Staat, der zwei Diktaturen hinter sich gebracht hat, gestatten sollte, ein paar Jahre relativ unabhängig zu agieren. Das braucht die tschechische Seele.
… sie braucht aber auch EU-Gelder.
Michael Adam: Absolut. Das ist ein Problem. Wo ist aber die Alternative? Sollen wir ein Jahrhundertprojekt auf Eis legen, das uns seit mehr als 60 Jahren beschäftigt und uns Frieden gebracht hat?
Sebastian Gruber: Es braucht alles seine Zeit. Europa wird nicht scheitern, aber es justiert sich neu. Ähnlich war es schon bei den anderen großen globalen Themen wie der Einführung des Euros, dem Wegfall der Grenzkontrollen oder die vielen Friedensbemühungen. Die nächste große europäische Frage, die geklärt werden muss, ist eben die Sache mit den Flüchtlingen.
Themawechsel. Die Ferienregion Nationalpark Bayerischer Wald (FNBW) war zuletzt Dauerthema. Herr Adam: Warum gehören Sie zu den Befürwortern? Warum funktioniert dieses Projekt?
Michael Adam: Ich kann Ihnen erklären, warum es eigentlich funktionierten sollte. In meiner Bodenmaiser Bürgermeister-Zeit habe ich gelernt, dass wir jenseits der Themen, die vor Ort erledigt werden können – wie etwa die Qualität der Unterkünfte -, in Sachen Marketing viel zu kleinteilig unterwegs sind. Es ist beinahe unmöglich, eigenständig einen Markennamen zu kreieren, den jeder kennt. Umso wichtiger ist es aber, seine Kräfte unter dem Dach des Bayerischen Waldes, den viele Leute kennen, zu bündeln. Der Gedanke der FNBW ist richtig. An der Ausführung scheitert es zumindest vorerst noch aufgrund von zwei Punkten. Erstens ist das Kirchturmdenken leider immer noch da. Zweitens ist einer dabei, der immer nur die Probleme sucht – und diese ausschlachtet. Ist ein Bürgermeister dabei, der dem Konstrukt den Krieg erklärt hat, ist das mehr als schädlich. Geht es so weiter, muss man sich überlegen, ob man mit Zwiesel überhaupt noch kann.
Klingt nach einem Zerwürfnis mit Zwiesels Bürgermeister Franz Xaver Steininger und seiner Tourismus-Politik?
Michael Adam: Das Schöne am Kollegen Steininger ist, dass er überhaupt nicht nachtragend ist. Wir haben uns weiterhin etwas zu sagen. Die Art und Weise, wie er gewisse Dinge in Angriff nimmt, sie kommuniziert und diese dann eskalieren lässt, ist relativ tödlich. In Zwiesel herrscht faktisch Stillstand, weil es in allen wichtigen Fragen scheinbar unüberbrückbare Differenzen gibt.
(Schaut zu Sebastian Gruber) Jedem von uns wird es ab und zu so gehen, dass ein Beschluss nicht der persönlichen Meinung entspricht. Von einem Politiker kann man dann aber trotzdem erwarten, dass er das von der Mehrheit Beschlossene Dinge mit Inbrunst umsetzt. Traurig, dass Franz Xaver Steininger – trotz zweier Stadtratsbeschlüsse – das nicht so macht. So geht es nicht in einer Demokratie.
Gruber: „Ich beobachte die Entwicklung mit Sorge“
Herr Gruber, wie beobachten Sie dieses Hick-Hack im Zwieseler Raum?
Sebastian Gruber: Zum Thema kann ich natürlich weitaus weniger sagen als Kollege Adam. Nachdem aber an der FNBW auch Gemeinden aus dem Landkreis Freyung-Grafenau beteiligt sind, beobachte ich die Entwicklung mit Sorge. Das Grundkonstrukt ist ein sehr guter Ansatz. Übrigens war ja Franz Xaver Steininger der Initiator dieser Idee.
Michael Adam: Solange alle gemacht haben, was er für sinnvoll erachtet, ist er mit wehenden Fahnen vorne wegmarschiert.
Sebastian Gruber: Was mittlerweile aber passiert ist, tut diesem Projekt nicht gut. Man wird sehen, wie sich das weiterentwickelt. Einerseits braucht man Zwiesel, weil es ein prägender Ort im Bereich des Nationalparks ist. Andererseits ist das Thema mittlerweile sehr schwierig zu handhaben – auch deshalb, weil sich Herr Steininger nicht an das hält, was ihm sein Stadtrat vorgibt.
Weitere zentrale Orte im FNBW-Konstrukt sind Grafenau, Freyung und Waldkirchen. Warum zögern diese Städte bisher noch, Mitglied der FNBW zu werden?
Sebastian Gruber: Aufgrund der aktuellen Vorkommnisse zögern diese Städte. Zum jetzigen Zeitpunkt habe ich da auch vollstes Verständnis dafür.
Diese Städte haben aber bereits im Vorfeld signalisiert, dass sie nicht Mitglied der GmbH werden möchten.
Sebastian Gruber: Die Bürgermeister haben alle betont, sie möchten erst einmal die Entwicklung abwarten. Ob das legitim ist, müssen die Akteure vor Ort entscheiden – zumal sie den Rückhalt des jeweiligen Stadtrates haben. Geht es so weiter wie bisher, werden wohl überhaupt keine neuen GmbH-Mitglieder zu erwarten sein.
Michael Adam: Solange die Übernachtungszahlen passen, ist es nachvollziehbar, erst einmal abzuwarten. Im Fall Zwiesel ist das aber nicht der Fall. Die Ablehnung von Franz Xaver Steiniger ist das eine – es gibt aber keine alternativen Vorschläge. Er spricht von einer Rückkehr zur eigenen Vermarktung durch die Stadt – was aber nie funktioniert hat.
„Ob sich ein Stadt-Oberhaupt so verhalten sollte, ist fraglich“
Die Energie von Bürgermeister Steininger ist bemerkenswert, keine Frage. Ich würde aber nicht, wie er, jemanden in Geißelhaft nehmen, diesem einseitige Infos zukommen lassen, dessen Unterschriften sammeln und sie ins Internet stellen. Ob sich ein Stadt-Oberhaupt so verhalten sollte, ist fraglich.
Was nehmen Sie sich vor fürs neue Jahr? Welche Vorsätze haben Sie? Welche Projekte möchten Sie umsetzen?
Sebastian Gruber: Für den Landkreis Freyung-Grafenau werden zwei, drei Dinge im Jahr 2016 entscheidend sein. Eine Sache ist der ÖPNV und der damit verbundene Nahverkehrsplan. 2015 war in dieser Hinsicht einiges an Sand ins Getriebe geraten, im nächsten Jahr möchten wir aber weiterkommen. Das beinhaltet auch die zukünftige Ausrichtung der Ilztalbahn – ist ein Regelbetrieb möglich? 2016 wird auch das Jahr werden, in dem wir über die Haushaltkonsolidierung sprechen müssen. Dauerbrenner in Begleitung zu diesen Themen werden natürlich die Umsetzung der geplanten Krankenhaus-Struktur sowie die Flüchtlingssituation sein.
Michael Adam: Neben dem Asylthema und der üblichen Bauerei, möchte ich zwei Highlights herausheben. Wir werden versuchen, den Grunderwerb für ‚Kirchberg Ortsumgehung 2‘ fertig zu bringen. Genauso beschäftigt uns der ÖPNV. Wir haben da ein Konzept mit Bedarfsbussystem ausarbeiten lassen, was wir nun analysieren müssen. Das wird uns das komplette Jahr über fordern. Innerhalb der ILE Bayerwald beschäftigen wir uns zudem damit, wie wir unser System weiter vernetzen können. Bei uns ist der Probebetrieb Viechtach-Gotteszell bereits gestartet. Da müssen wir die Schulwege aller Schüler überprüfen. Das ist viel Arbeit. (An Sebastian Gruber gerichtet:) Sollte es bei Euch mit der Ilztalbahn soweit kommen, kann ich Dir genau sagen, wie es war (lacht).
Gibt es persönliche Vorsätze?
Sebastian Gruber: Gesund bleiben!
Michael Adam: Ich frage mich oft, wie es wohl sein wird, wenn ich die aktuelle Schlagzahl weiterhin bis zur Rente durchziehe. Wie lange werde ich das durchhalten? Deshalb ist auch für mich das wichtigste die Gesundheit.
Interview: Stephan Hörhammer und Helmut Weigerstorfer