Allerheiligen. Halloween. Samhain. Ein Termin – drei Feste? Im Grunde nicht. Es ist das Fest der Ahnen – egal, welchen Namen es trägt. Freilich ist die Art und Weise, dieses Fest zu feiern, recht unterschiedlich. An diesem Tag wünsche ich mir seit jeher versteckte Kameras auf den Friedhöfen, die hinter jedem Grabstein hervorlinsen und Familienschnappschüsse machen.
Wenn sie da so stehen, das Mantra der ewigen Sünder vor sich hin murmeln – und doch nicht so recht bei der Sache sind. In den Gräbern liegen ihre Ahnen, wissend, dass – frei nach Hesse – jedem Tod ein Zauber innewohnt. Denn über ihnen standen einst diejenigen, die das Feuer am Brennen hielten und das Leben weitertrugen.
Mit Halloween überschwemmte uns eine Kürbiswelle
Halloween gab es in meiner Kindheit nicht, auch wenn ich es mir gewünscht hätte. Gerne wäre ich als kleines Gespenst von Haustür zu Haustür gezogen und hätte mit Saurem gedroht, falls nichts Süßes in mein Körbchen wandert. Mit Halloween überschwemmte uns eine regelrechte Kürbiswelle. Kaum eine Haustür, vor der nicht eine hämisch grinsende Kürbisfratze in die Dunkelheit leuchtet. Das amerikanische Maskenfest hat uns längst im Griff – in jedem Dorf gibt es heute Halloweenpartys. Vergessen ist zwar der Hintergrund – aber ein Grund, sich ein Spinnennetz auf die Backe zu malen und sich heillos zu betrinken, scheint immer gut anzukommen…
Und Samhain? Hier mag der Ursprung beider Feste liegen, auch wenn sich darüber streiten lässt. Es ist das erste und wichtigste Fest im keltischen Jahreskreis. Die Tage sind nun kürzer, es ist Herbst, die Blätter fallen und die Lebenskraft der Natur legt sich schlafen. Es ist die Zeit des Vergehens, des Sterbens, des Rückzugs, der Ruhepause. Und trotzdem besteht kein Grund, traurig zu sein, denn die Samen für den nächsten Frühling liegen bereits in der Erde und warten. Es ist der Puls der Zeit. Jetzt schließt sich die Faust und legt sich ans Herz, während sie sich im Frühling öffnet und die Hände weit zum Himmel streckt.
Samhain ist das Fest, an dem den Ahnen, unseren verstorbenen Verwandten, gedankt wird. An dem wir an sie denken. Weil sie gelebt haben, leben wir. Wir machen weiter, ganz in ihrem Sinne. Nicht unbedingt inhaltlich, aber wir leben – und das muss genügen. Wie anders waren ihre Lebensumstände, wie anders ihre Lebenswege. Wir können in Gedanken ihren Weg zurückverfolgen und stehen nun an der nächsten Kreuzung. Aber verstehen wir wirklich, wer sie waren? Kennen wir die Träume, Sehnsüchte, Ängste, die sie hatten? Kennen wir die Gründe für ihre Entscheidungen? Kennen wir ihr Innerstes? Vielleicht nicht – und dennoch vermissen wir sie sehr. Oder auch nicht. Und was ist mit den Generationen zuvor, die auch in den Gräbern liegen? Wir kannten uns nicht, aber wir hätten uns viel zu erzählen gehabt. Und so drücke ich die Hand des Todes, zünde eine Kerze am Fenster an und lege einen Apfel dazu. Mit einem schönen Essen und Geselligkeit wird das Leben gefeiert, mit Geschichten an die Toten gedacht.
Ein Fest, welches das Leben und das Sterben ehrt
Jetzt ist die Zeit, in der der Nebel oft die Grenzen verschwinden lässt. Man sagt, in der Samhain-Nacht sind diese Grenzen nicht vorhanden – die „Anderswelt“ und das Hier verschwimmen. In England glaubte man, an Samhain die Seelen derjenigen auf den Friedhöfen sehen zu können, die im kommenden Frühling sterben würden.
Die Vorstellung, dass Geister umgehen, ist natürlich gruslig. Zum Schutz stellte man die Kürbislichter auf (in Schottland waren es Rübenlichter) – beide trugen abschreckende Fratzen. Nach Anbruch der Dunkelheit entzündete man große Feuer, um die Verstorbenen heimzuweisen. Außerdem ist Samhain ein Lostag – ein Tag, an dem sich gut orakeln lässt. Früher brachte man an Samhain Tieropfer – man schlachtete, um für den bevorstehenden Winter zu essen zu haben. Symbolisch betrachtet mussten die Tiere sterben, damit die Menschen überleben konnten. Man denke nur an die längste Zeit der Menschheitsgeschichte, in der die kalte Jahreszeit ein echtes Problem war. Samhain ist darum tendenziell ein ernsthaftes Fest – ein Fest, welches das Leben und das Sterben mit höchstem Respekt ehrt.
Eva Hörhammer