Osnabrück. Das erste Ziel ist bereits erreicht. Der Ärzte-Klassiker „Schrei nach Liebe“ ist die aktuelle Nummer eins der deutschen Single-Charts – und das 22 Jahre, nachdem der Song erstmals veröffentlicht worden ist. Grund dafür ist die von Roland Tapken und Gerhard Torges aus Osnabrück ins Leben gerufene „Aktion Arschloch“. Um ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit zu setzen, haben sich die Initiatoren vorgenommen, eben jenes Anti-Nazi-Lied wieder in die Charts und ins Radio zu hieven. Sämtliche Einnahmen werden an „Pro Asyl“ gespendet – das haben sowohl die Ärzte als auch Finetunes, Amazon, Google, Apple und Universal Publishing zugesichert. Im Hog’n-Interview spricht Ideengeber Roland Tapken über seine Inititative – und warum ausgerechnet „Schrei nach Liebe“ zum Sprachrohr der Aktion geworden ist. Außerdem blickt der 33-Jährige auf die rechtsradikale Szene in Deutschland sowie die Flüchtlingspolitik der Merkel-Regierung.
Herr Tapken: Wie ist es zur Idee gekommen, die „Aktion Arschloch“ ins Leben zu rufen?
In der Nacht zum 30. August ist mir bei einer Veranstaltung, bei der ein Song der Ärzte gespielt worden ist, spontan eingefallen, dass es angesichts der aktuellen fremdenfeindlichen Situation eigentlich mal wieder ein politischeres Lied wie ‚Schrei nach Liebe‘ im Radio brauchen würde. Um den Leuten zu zeigen, dass ausländerfeindliches Gedankengut nicht von der Mehrheit in Deutschland geteilt wird. Außerdem wollten wir beweisen, dass es heute – in Zeiten, in denen die Musikindustrie über Umsatzeinbußen klagt – nicht so schwer sein könne, sowas in die Charts zu pushen.
Ich habe die Idee zusammen mit dem Hashtag #AktionArschloch nachts um 1 Uhr vom Handy aus auf meine eigene Googleplus-Seite gestellt. Als ich am darauffolgenden Nachmittag dort nachgeschaut habe, hatte Gerhard Torges bereits unsere Googleplus-Seite eingerichtet – und war fleißig für die Aktion am Werben. Wenig später sind die Homepage und die Facebook-Seite hinzugekommen.
Schrei nach Liebe: „Das Lied vermittelt die richtige Botschaft“
Wie kann man bei der Aktion mitmachen?
Das Schöne, was auch den Erfolg dieser Aktion ausgemacht hat: Es geht extrem einfach! Einfach den Song kaufen, im Radio wünschen oder bei Youtube abspielen…
Warum fiel Ihre Wahl ausgerechnet auf das Lied „Schrei nach Liebe“ von den Ärzten?
Ehrlich gesagt: Weil es in dieser besagten Nacht das erste Lied war, an das ich gedacht habe. Es vermittelt die richtige Botschaft – und es macht auch noch Spaß, es zu hören und mitzusingen.
Die Ärzte haben bereits angekündigt, die Erlöse zu spenden. Wie ist der Kontakt zu den Musikern überhaupt zustande gekommen?
Zunächst haben die Ärzte nach den ersten Tagen mit dem bekannten Posting auf ihrer Homepage reagiert. Erst als wir später wegen der Urheberrechte auf der sicheren Seite sein wollten – zum Beispiel, weil Leute T-Shirts drucken ließen – hat sich die Plattenfirma gemeldet, um uns die notwendige Erlaubnis zu geben. Einen persönlichen Kontakt zu Bela, Farin oder Rod hatten wir bisher nicht. Inzwischen haben übrigens auch Amazon, Google, Apple, Finetunes und Universal Publishing angekündigt, ihre Anteile am Verkauf zu spenden.
Was machen die Initiatoren Gerhard Torges und Roland Tapken im „normalen Leben“?
Gerhard ist Musiklehrer, ich bin Softwareentwickler. Unser Team ist inzwischen jedoch gewachsen, weil wir die ganzen Anfragen nicht mehr alleine bewältigen konnten.
„Die zivilisatorische Decke droht manchmal zu zerreißen“
Thema Asyl: Geht Ihrer Meinung nach Deutschland mit der Flüchtlingswelle richtig um?
Nachdem es lange so ausgesehen hat, als würde die Regierung einfach die Augen vor dem, was sich anbahnt, verschließen und auf Abschiebung und Dublin III bestehen, scheint in den vergangenen Wochen eine Art Kehrtwende stattgefunden zu haben. Im Moment habe ich den Eindruck, dass Deutschland sich sogar zu einem vorbildlichen Umgang mit den Flüchtlingen überwindet. Ich hoffe nur, dass die unglaubliche Welle der Hilfsbereitschaft, die wir inzwischen sehen, anhaltend ist.
Eure Aktion richtet sich vor allem gegen „Rechts“. Gibt es bei uns tatsächlich so viele Nazis in der Bundesrepublik?
Sie laufen nicht mehr in Springerstiefeln rum, zumindest die wenigsten. Aber Nazi wird man nicht durch die Art, wie man sich kleidet, sondern dadurch, wie man denkt, sich verhält und mit seinen Mitmenschen umgeht. Rechtes Gedankengut ist leider immer noch stark verbreitet, wie die Pegida-Bewegung gezeigt hat – die zivilisatorische Decke droht manchmal zu zerreißen. Aber ich bin stolz, dass unsere Aktion zeigt, dass Rechts in Deutschland weiterhin keine Mehrheit hat.
Woran liegt es, dass die zivilisatorische Decke manchmla zu zerreißen droht, dass rechtes Gedankengut immer wieder auf Zuspruch stößt?
Tja, darüber streiten sich Soziologen seit Jahren, oder? Für viele dürfte das Gefühl, durch den Staat ungerecht behandelt oder im Stich gelassen zu werden, ausschlaggebend sein. Dabei übersehen sie jedoch, dass es den allermeisten Flüchtlingen noch viel schlechter geht und dass sich ihre eigene Situation in keinster Weise verbessern würde, wenn wir diesen Menschen nicht helfen. So gesehen ist es vielleicht tatsächlich ein ‚Schrei nach Liebe‘.
Wie kann diese Gesinnung endlich an den äußersten Rand gedrängt werden?
Solange der tolerante Teil der Gesellschaft zusammenhält, wird der Rechtsradikalismus kaum einen Fuß auf den Boden kriegen können. Dazu gehört auch, die Themen Bildung und soziale Absicherung nicht zu vernachlässigen – damit niemand unnötig in die Fänge rechter Hetzer getrieben wird.
Vielen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg mit der Aktion Arschloch.
Interview: Helmut Weigerstorfer