Cham. „Classik Rock“: Aus die Maus! „Rockperlen“: passé. „Newcomershow“: perdu. „Kultabend“: Ende Gelände! All diese bekannten wie bei Rockfans beliebten Formate aus der Bayern3-Nightlife-Reihe gehören seit wenigen Wochen der Vergangenheit an. Keine Klassiker prominenter Musikgrößen, keine Kostproben vielversprechender Nachwuchstalente mehr. Nach über 20 hörenswerten Jahren von Bayern3s „Nightlife“ ersetzen die Radiomacher die Reihe durch „Bayern3 Puls“, eine Koproduktion zwischen Bayern3 und dem Jugend-Digitalsender „Puls“. Dabei stehen eher die moderneren, poppigeren Trends und Töne im Vordergrund, die überwiegend jüngeres Publikum ansprechen sollen. Für die gute alte Rockmusik scheint kein Platz mehr, was eingefleischte Anhänger dieses Genres in Rage versetzt. Einer von ihnen ist der Frontmann der Oberpfälzer Blues-Rock-Band „3 Dayz Whizkey„: Tilo George Copperfield. Im Hog’n-Interview erklärt der Vollblut-Musiker und Mitbegründer einer Protestbewegung namens „Nightlife Defenders“, warum er und seine Mitstreiter derzeit mächtig sauer auf den BR sind, welche Forderungen sie an die Radiomacher stellen – und wie wichtig der Erhalt der musikalischen Vielfalt bei einem von öffentlich-rechtlichen Geldern finanzierten Sender sind.
„Einzigartig in der Geschichte der bayerischen Rockmusik“
Tilo: Um was geht’s bei Eurer Aktion „Nightlife Defenders“ genau?
Die Nightlife Defenders sind ein Bandprojekt, dass ich zusammen mit 30 Rockmusikern aus Bayern initiiert habe. Es entstand als direkte Reaktion auf die Entscheidung von Radio Bayern3, die beliebte Reihe ‚Nightlife‚ mit Sendungen wie ‚Classic Rock‘, ‚Rockperlen‘, die ‚Newcomer-Show‘ und den ‚Kultabend‘ abzusetzen. Damit wurden die einzigen Sendungen gestrichen, die sich intensiv mit Rockmusik auseinandergesetzt und zudem viele regionale Bands und Musiker gefördert haben. Daraufhin habe ich den Song ‚I want my rock on the radio‚ komponiert und Musiker aus meinem Netzwerk angesprochen. Jeder, bei dem es terminlich geklappt hat, war sofort dabei und steht somit auch zu 100 Prozent hinter unserer Aktion.
Wer gehört mittlerweile zu den „Nightlife Defenders“ mit dazu?
Wir haben neben den ‚aktiven Mitgliedern‘ – also Leuten, die direkt an den Aufnahmen beteiligt waren – mittlerweile auch schon einige ‚passive Mitglieder‘, die sich unserer Sache anschließen wollen. Ich zähle jetzt einfach mal ein paar Musiker und Bands auf, die dabei sind: Da wären meine Band, 3 Dayz Whizkey, The Legendary aus München, Black Blitz, Lem Motlow auch aus München, Dan Lucas und Claudia Cane, Sabine von der Band Deadlock, Dee Vier, die Blue Krauts, Sarah Straub, die Ausnahmegitarristin Yasi Hofer, Gsindl,…es werden immer mehr. Insgesamt dürfte die Sache wohl einzigartig sein in der Geschichte der bayerischen Rockmusik. Noch nie haben sich Bands ohne die Hilfe eines größeren Labels aus Eigeninitiative zusammengeschlossen und gemeinsam für den Rock gekämpft.
„Lieber Bayerischer Rundfunk, gib uns die zwei Stunden wieder“
Viele Rock-Musiker wie Rock-Fans sind sauer auf den Radiosender Bayern3. Reicht es aus, „nur“ sauer zu sein, in der Hoffnung, dass sich etwas ändert – oder habt ihr irgendwelche Aktionen geplant?
Also erstmal geht es uns ja mit der Aktion darum, überhaupt darauf hinzuweisen. Sonst wäre die Umstellung auf ‚Puls‘ ja im Sommerloch kaum aufgefallen. Das Ziel haben wir mittlerweile mehr als erreicht. Unser Video zum Song wird immerhin 1.000 Mal am Tag angeklickt bei YouTube – und verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Außerdem berichten alle großen Tageszeitungen und die großen Rockmagazine darüber. Dem Bayerischen Rundfunk dürfte somit jetzt klar sein, dass es viele Hörer gibt, die auf Rock im Radio nicht verzichten wollen und auch nicht in Ordnung finden, dass sie jetzt zu einer unbedeutenden Randgruppe degradiert werden. Vielleicht werden wir ja noch eine Aktion starten – aber vielleicht ändert ja auch der BR seine Meinung…
Protestsong mit Durchschlagskraft: „I want my Rock on the Radio“:
Was sind Eure konkreten Forderungen? Wie soll’s weitergehen mit den „Nightlife Defenders“?
Wir wollen ganz konkret einen Sendeplatz im Bayerischen Rundfunk, der sich mit Rock auseinandersetzt. Wir sprechen hier von Classic Rock, Hard Rock, vielleicht auch Metal. Es muss ja gar nicht so extrem sein. Die ‚Classic Rock Show‘ war für viele Rocker in Bayern ein Treffpunkt. Da hat man bewusst das Radio eingeschaltet – und auch was Neues entdecken können. Da lief auch mal Southern Rock, Country Rock, Bluesrock. Sachen, die in den USA aktuell sind und die sonst nirgendwo gespielt werden. Das waren Sendungen, bei denen sich die Musikredakteure wirklich den Kopf zerbrochen und eine Playlist zusammengestellt haben. Ich kenne da einen Typen, der hat die Classic-Rock-Sendung über fünf Jahre mitgeschnitten. Wo gibt’s denn sowas heute noch? Also: Lieber Bayerischer Rundfunk, bitte gib uns einfach zwei Stunden wieder! Aber nicht zwischen 0 und 6 Uhr früh!
„… weil die alle die exakt selbe Formel verwenden“
Wie wichtig ist Deiner Meinung nach der Erhalt von Rock-Musik im Radio im Allgemeinen bzw. Nischen-Musikrichtungen im Speziellen?
Ich kann da nur für mich sprechen. Musik ist mein Leben und ich lebe für die Musik. Es gibt so viele unterschiedliche Arten der Rockmusik, dass man ihr mit einer Rotation sich immer wiederholender Titel einfach nicht gerecht wird. Mir geht es um die Vielfalt der Rockmusik. Ich muss nicht am Tag fünf Mal ‚Summer of 69‚ hören, sondern will auch mal einen Song von Judas Priest dabei haben. Wenn wir im Autoradio nur noch das hören können, was uns zwei, drei große Plattenfirmen vorgeben, dann hört sich irgendwann alles gleich an.
Mir geht’s ja selber schon so, dass ich Titel von, sagen wir mal, Andreas Bourani und Revolverheld schon gar nicht mehr auseinanderhalten kann, weil die alle die exakt selbe Formel verwenden. Um das geht es mir. Wir müssen wieder mehr Vielfalt zulassen. Schau Dir eine Band wie ‚Blackberry Smoke‚ an. Ich garantiere euch, wenn Songs dieser Band unterm Tag im Radio laufen würden, dann würden 90 Prozent der Hörer sagen: ‚Wow, schöne Musik!‘ Aber soweit kommt’s ja gar nicht, weil das Computerprogramm im Hintergrund das ja gar nicht zulässt. Das sagt dann eher: ‚Verdammt, eine ganze Stunde ohne Xavier Naidoo – das geht nun wirklich nicht!‘
Wie sollte das optimale Radioprogramm Deiner Meinung nach dann aussehen? Was wünschst wünscht Ihr Euch?
Wie bereits erwähnt: Es muss vielfältig sein. Gerade von einem öffentlich-rechtlichen Sender erwarte ich das. Dazu müsste man natürlich auch wieder mehr Qualität und Geld in die Musikredaktionen stecken, Hintergründe recherchieren und nicht die gesamte Manpower in Comedy-Shows und Gewinnspiele stecken. Ich frage mich ernsthaft, wer das überhaupt gut findet. Es ist wichtig, dass sich dort Leute mit Newcomern aus vielen Sparten auseinandersetzen, die ein gewisses ‚Massen-Appeal‘ haben. Puls-Radio setzt sich ja auch mit Newcomern auseinander, aber eben nur mit denjenigen, die genau zur Zielgruppe passen. Und diese Zielgruppe sieht man wahrscheinlich nicht auf einem Konzert von AC/DC oder KISS.
Danke, dass Du Dir Zeit für unsere Fragen genommen hast, Tilo – und weiterhin viel Erfolg beim Kampf um den Erhalt der Vielfalt im Radio.
Interview: Stephan Hörhammer