Röhrnbach/Alzesberg. Helmut Wagner aus Alzesberg bei Röhrnbach ist sauer – stinksauer, um ein Wortspiel zu bemühen. Eigenen Angaben zufolge hat er deshalb insgesamt schon rund 20 Anzeigen bei der Polizei erstattet – auch die Regierung von Niederbayern, das Amtsgericht Freyung, das Landratsamt Freyung und viele andere Behörden hat er immer wieder darauf hingewiesen. Bisher ohne Erfolg. Der Grund für seinen Ärger: Seit drei Jahren ist das Wasser im hofeigenen Grand nicht mehr nutzbar. Der 67-Jährige macht dafür die vermehrte Ausbringung von Gülle auf den angrenzenden Wiesen verantwortlich. „Das hat mittlerweile schon extreme Ausmaße angenommen“, erklärt der inzwischen pensionierte Landwirt und Maschinenbauer gegenüber dem Onlinemagazin „da Hog’n“. „Da wird bis zu sieben Mal jährlich gemäht – und dann eine Unmenge von Gülle ausgebracht. Und das alles nur wegen der Biogasanlagen.“ Ein Einzelfall? Oder droht dem Bayerischen Wald eine regelrechte Gülle-Überschwemmung?
Seit 2000 wird die Nutzung von erneuerbaren Energien zur Stromerzeugung durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gefördert. Besondere Anreize, Biogasanlagen zu bauen, setzten Neufassungen des Gesetzes in den Jahren 2004 und 2009 – was einen regelrechten Boom beim Anlagenbau zur Folge hatte. Aktuell werden in Deutschland rund 7.800 Biogasanlagen betrieben – mehr als die Hälfte davon stehen in Bayern, Niedersachsen und Baden-Württemberg, wie Paul Trainer vom Deutschen Biomasseforschungszentrum (dbfz) aufführt. Hinzu kommen zirka 180 Biogasaufbereitungsanlagen, die Biogas zu Biomethan veredeln, das wiederum in das Erdgasnetz eingespeist werde kann. Erst weitere Anpassungen des EEG in den Jahren 2012 und 2014 konnte den Neubau dieser Anlagen etwas einbremsen. Und dennoch hat die klassische Landwirtschaft mit einem neuen, großen „Widersacher“ zu kämpfen – auch im Bayerischen Wald. Neben den bisherigen Schwierigkeiten (wie etwa den widrigen Wetter- und Bodenverhältnissen) hat ein Großteil der Bauern nun auch mit der „Konkurrenz Biogaserzeugung“ zu kämpfen.
1,3 Millionen Hektar werden für Biogaserzeugung genutzt
Denn die Betreiber der Anlagen brauchen Unmengen von Rohstoffen – also hauptsächlich Gras und Mais -, um ihre Kraftwerke effizient zu betreiben. Oftmals werden diese Materialien mit schier monstergleichen Gespannen quer durch ganz Ostbayern gekarrt. Der Umweltschutz und die kleinstrukturierte Landwirtschaft bleiben da sprichwörtlich auf der Strecke. „Von 2,34 Millionen Hektar nachwachsender Rohstoffe, das heißt Energie- und Industriepflanzen, werden lediglich 1,3 Millionen Hektar für Biogaserzeugung genutzt. Das sind 12,5 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen in Deutschland“, macht Paul Trainer in diesem Zusammenhang klar. „In der Klimabilanz schlagen die Transportaufwendungen kaum zu Buche, da die Gesamt-Klimabilanz in erster Linie vom Betrieb der Anlage abhängt. Durch die energetische Nutzung von Biomasse können Strom, Wärme oder Kraftstoffe auf der Basis nachwachsender Rohstoffe und Abfälle erzeugt werden und somit ein wesentlicher Umweltbeitrag geleistet werden.“
„Da wird an manchen Tagen sogar zweimal geodelt“
Kritisch zu betrachten ist hingegen, was mit den Abfällen der Biogaserzeugung geschieht – es entstehen Unmengen von Gülle, die auf den Feldern ausgebracht werden müssen. Dass es dabei immer wieder zu nachhaltigen Verunreinigungen des Grundwassers komme, wird im Falle von Helmut Wagner deutlich. Mit einem Kopfschütteln erzählt er: „Da wird an manchen Tagen sogar zweimal geodelt. Und dann wartet gleich der Pflug, denn es soll ja keiner sehen, was dort alles rausgehauen wird.“ Zwar gesteht der 67-Jährige ein, dass er selbst manchmal etwas zu radikal vorgehe, um seinem Anliegen Gehör zu verschaffen („Ich bin ja Rentner, ich habe Zeit“). Dennoch macht er auf ein Problem aufmerksam, das angesichts einiger Fotobeweise nur schwer zu ignorieren ist – und sich künftig noch flächendeckender gestalten könnte…
„Wir befinden uns in einem laufenden Verfahren“
Röhrnbachs Bürgermeister Josef Gutsmiedl möchte zu diesem Thema keine Stellungnahme abgeben. Dem Landratsamt Freyung ist der Vorfall bekannt: Presse-Sprecherin Judith Wunder: „Das Sachgebiet Öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie das Gesundheitsamt befinden sich hinsichtlich der Thematik Trinkwasser in einem laufenden Verfahren.“ Weitere Angaben gibt es von öffentlicher, regionaler Seite dazu nicht – das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) sowie das Wasserwirtschaftsamt Deggendorf (WWA) seien hierfür zuständig. Sämtliche bisher genannten Einrichtungen habe Helmut Wagner bereits mehrmals auf den Alzesberger Fall aufmerksam gemacht – bisher seinen Angaben zufolge jedoch ohne Rückmeldungen.
„Eine Verschlechterung der Wasserqualität ist nicht festzustellen“
Auf Hog’n-Nachfrage nimmt Albin Schramm vom WWA Deggendorf folgendermaßen Stellung. „Der Fall ist uns bekannt. Eine generelle Verschlechterung der Wasserqualität durch Biogasanlagen können wir nicht feststellen“ – und verweist hinsichtlich weiterer Informationen ebenfalls an das bayerische Landwirtschaftsministerium. Dort erreichen wir Martin Hecht, den stellvertretenden Pressesprecher. „Das Fachzentrum für Agrarökologie am AELF hat sich über einen längeren Zeitraum mit der Thematik befasst und hat bislang alle konkreten Anzeigen weiterverfolgt. Auch andere Behörden sind involviert.“ Generell werde das Ausbringen von Gülle im Rahmen der geltenden Vorschriften stichprobenartig überprüft – beispielsweise würden im Rahmen der Düngeverordnung die Nährstoffvergleiche oder die entsprechenden Melde- und Aufzeichungspflichten überprüft. Von einer Überdüngung der Wiesen, gar von einer „Gülle-Mafia“ im Bayerischen Wald, die ohne Rücksicht auf die Natur handele, möchte Martin Hecht nicht sprechen. „Die Gülle-Ausbringung hat sich allerdings in den vergangenen Jahren schrittweise verändert. Auch um geltende Vorschriften leichter einhalten zu können, haben einige Betriebe bei größeren Mengen auf eine überbetriebliche Ausbringung umgestellt.“
„Mit Scheiße lässt sich sehr viel Geld verdienen“
Alles Friede, Freude, Eierkuchen also? Etwas anderer Meinung ist da Karl Haberzettl vom Bund Naturschutz, Kreisgruppe Passau. Er beschäftigt sich schon seit Längerem mit Helmut Wagner und seiner Geschichte. „Die Argumente sind in der Sache richtig. Herr Wagner macht nur das, was von der Regierung immer lauthals gefordert wird: Hinschauen und nicht wegschauen! Er hat das Problem erkannt, muss aber damit zurechtkommen, dass die Lösung – vor allem wenn auch noch Lobbyisten mit im Spiel sind – sehr lange dauern kann.“ Zudem könne sich Haberzettl durchaus mit dem Begriff „Gülle-Mafia“ anfreunden – er zählt jedoch Klärschlamm und Gärreste noch mit hinzu. „Auf gut bayerisch g’sagt: Mit Scheiße lässt sich heute sehr viel Geld verdienen – aber zugleich auch viel Natur zerstören.“ Durch den Gärprozess habe die Gülle aus Biogasanlagen eine andere Zusammensetzung, allein der Stickstoffgehalt sei höher. Gift für den Boden.
„Unfälle in jeder dritten Biogasanlage in Bayern“
In eine ähnliche Kerbe schlägt Grünen-MdL Rosi Steinberger. „Von 2300 Biogasanlagen in Bayern hatte fast jede dritte in den letzten zehn Jahren Unfälle mit Gewässerverunreinigungen“, wird sie in einer Pressemitteilung zitiert. Deshalb habe auch die Grünen-Fraktion einen Dringlichkeitsantrag, der mit den Stimmen der CSU abgelehnt worden sei, gestellt. Dieser beinhaltet, dass sämtliche Biogasanlagen dahingehend überprüft werden sollen, ob ausreichende Vorkehrungen zum Schutz der Gewässer getroffen wurden. Gegenüber dem Onlinemagazin „da Hog’n“ warnt Rosi Steinberger: „Wo die Landwirtschaft intensiv betrieben wird und wo es einen hohen Viehbesatz gibt, treten Wasserverunreinigungen auf.“ Das Gärsubstrat der Biogasanlagen werde bei der Düngeverordnung bisher nicht eingerechnet. Die Ämter würden zwar prüfen, ob es genug Fläche für die anfallende Gülle gebe – „ob ein Landwirt diese Fläche dann auch gleichmäßig düngt, ist jedoch seine Sache.“ Laut Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) findet übrigens eine indirekte „Messung“ über den jährlich zu rechnenden Nährstoffvergleich (§ 5 DüV) statt.
Mit dem Thema „Biogas-Unfall“ hat sich jüngst auch die BR-Sendung „quer“ beschäftigt:
https://youtu.be/rXo2skkhrX4
„Seine Anschuldigungen sind haltlos“
Auf all diese Dinge hat Helmut Wagner auch den Pächter der Wiese, die an seinen Hof angrenzt, bereits angesprochen. Dieser hätte jedoch aggressiv reagiert. Auch wir kontaktieren Wolfgang Grünzinger vom gleichnamigen Lohnunternehmen in Lanzesberg bei Röhrnbach. „Seine Anschuldigungen sind haltlos“, sagt er und verweist auf entsprechende Gülle-Vorgaben. Er droht sowohl dem Onlinemagazin „da Hog’n“ bei einer Berichterstattung mit rechtlichen Schritten als auch Helmut Wagner, sollte dieser weiterhin seine Anschuldigungen öffentlich kundtun. Wolfgang Grünzinger möchte klargestellt wissen, dass nicht er die Wiese gepachtet habe, sondern sein Bruder. Er sei vielmehr nur Dienstleister. „Ich habe nichts falsch gemacht, habe keinen Dreck am Stecken“, betont er mehrmals. Feststeht: Aus einem anfänglichen Zwist hat sich eine persönliche Fehde entwickelt. Ob das Gülle-Problem nun auch bis in den Bayerischen Wald vorgedrungen ist, bleibt abzuwarten. Wir bleiben am Thema dran…
Helmut Weigerstorfer