Freyung-Grafenau. Hohe Wellen hatte unser vor Kurzem veröffentlichte Artikel über eine regionale Bäckerei geschlagen, die es in Sachen betriebsinterner Sauberkeit nicht sonderlich genau nimmt. „Hygienische und bauliche Mängel“ führten nicht nur einmal zur vorübergehenden Schließung des Unternehmens, dessen Inhaber schon häufiger negativ aufgefallen war. Eine wichtige Rolle bei der Lebensmittelüberwachung spielt die so genannte „Spezialeinheit Lebensmittelsicherheit“ (kurz: SE), die dem Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) unterstellt ist. Claudia Schuller, gelernte Biologin und Wirtschaftsjournalistin, hat uns in ihrer Funktion als LGL-Pressesprecherin noch einige offene Fragen beantwortet, u.a. welche Verstöße denn nun genau vorliegen müssen, damit ein lebensmittelproduzierender Handwerksbetrieb vorübergehend geschlossen wird. Interessant: Auch die Bürger haben die Möglichkeit, verdächtige Hygiene-Sünder dem örtlichen Landratsamt oder dem LGL mitzuteilen.
„Die Komplexität des Falls steht im Vordergrund“
Die Spezialeinheit Lebensmittelsicherheit (SE) ist eine Abteilung innerhalb des LGL. Bei welchen Vergehen im lebensmittelproduzierenden Gewerbe wird die SE aktiv? Sprich: Welche Verstöße müssen vorliegen, damit ein Eingreifen der SE erforderlich ist?
Die SE wird z.B. von den Vor-Ort-Behörden unterstützend hinzugezogen, etwa bei problematischen Betrieben, die besonders groß sind oder besonders komplexe, außergewöhnliche oder neuartige Technologien einsetzen. Sie müssen sich das so vorstellen, dass ein Landratsamt oder eine Vor-Ort-Behörde anfragt und sagt: ‚Wir haben hier einen komplexen Fall. Wir brauchen Unterstützung. Könnt Ihr mit dazu kommen?‘. Außerdem wird die SE auch regelmäßig eigeninitiativ tätig, z.B. zur Statuserhebung in den verschiedensten Lebensmittelbranchen. Also nochmal: Es geht nicht um einen bestimmten Verstoß, sondern es steht die Komplexität des Falls im Vordergrund.
Nehmen wir mal eine kleine Metzgerei, die in einer Kleinstadt tätig ist und über viele Jahre hinweg Lebensmittel verarbeitet. Ist das dann eher ungewöhnlich bzw. die Ausnahme, wenn hier die Unterstützung der SE seitens des Landratsamts angefordert wird?
Grundsätzlich ist es schon eher ungewöhnlich. Aber es ist auch nicht ausgeschlossen: In der Vergangenheit unterstützte die SE in Einzelfällen Vor-Ort-Behörden bei der Kontrolle selbstschlachtender Metzgereien, z.B. im Hinblick auf Tierschutzverstöße bei der Schlachtung. Diesen hilft die SE, einen Überblick zum Thema Tierschutz zu bekommen, der Betriebe aller Größenordnungen einschließt.
„Schließung dient immer der unmittelbaren Abwehr von Gefahren“
Welche Mängel müssen vorliegen, damit etwa ein lebensmittelproduzierender Handwerksbetrieb von der SE vorübergehend geschlossen wird?
Das lässt sich pauschal schwer beantworten. Eine Behörde muss immer verhältnismäßig handeln. Wenn etwa in einer Ecke nicht ganz sauber geputzt ist, wird man einen Betreib nicht gleich schließen – das wäre nicht verhältnismäßig. Eine vorübergehende Betriebsschließung ist z.B. dann erforderlich, wenn derart gravierende Hygienemängel vorgefunden werden, dass eine weitere Produktion von Lebensmitteln unter diesen Umständen nicht erlaubt werden kann und die Beseitigung der Mängel im laufenden Betrieb nicht möglich ist.
Wenn es also zu einer Betriebsschließung kommt, kann man durchaus von einem Härtefall sprechen, richtig?
Ja, eine Betriebsschließung ist die einschneidenste Maßnahme, die von der Lebensmittelüberwachung ergriffen werden kann. Sie dient immer der unmittelbaren Abwehr von Gefahren. Das heißt: Wenn die Gefahr besteht, dass ein Betrieb gesundheitsschädliche oder unter unhygienischen Umständen hergestellte Lebensmittel verkaufen möchte, muss natürlich die Produktion bzw. der Verkauf unterbunden werden. Dies entspricht einer Schließung oder Teilschließung.
Also es gibt eine gewisse Toleranzgrenze, die auch irgendwann mal erreicht ist?
Richtig. In den meisten Fällen reichen mildere Maßnahmen um einen Mangel dauerhaft abzustellen. Die Behörde macht dem Betrieb dann Auflagen zur Mängelbeseitigung, die dieser zu erfüllen hat – und führt Nachkontrollen durch, bei denen geprüft wird, ob die Auflagen umgesetzt worden sind.
„Ratten, Mäuse oder Insekten wie Käfer, Motten oder Schaben“
Und die generellen Kontrollen seitens der Lebensmittelkontrollbehörden finden immer unangekündigt statt, richtig?
Ja, das ist richtig. Sowohl die Kontrollen der Vor-Ort-Behörden als auch die Kontrollen der SE finden unangekündigt statt.
Welche Verstöße gibt es denn zum Beispiel in einem Bäckerei-Betrieb, die als „schlimm“ bzw. „unhygienisch“ einzustufen sind?
Als unhygienisch sind etwa Reinigungsdefizite, insbesondere Altverschmutzungen etwa von Produktionsmaschinen, zu verstehen; Schimmelbefall von Anlagenteilen oder Zutaten, Schädlingsbefall etwa von Nagern oder Insekten zum Beispiel in Mehlsilos oder Produktionsräumen. Dabei sind diese Missstände umso schwerwiegender zu beurteilen, je näher sie sich am Lebensmittel befinden.
Dort, wo mit Lebensmitteln umgegangen wird, zieht es auch Schädlinge hin. Also muss man immer darauf achten, diese fernzuhalten. Und wenn es sich um einen Befall handelt, bei dem auch Lebensmittel betroffen sein können, sind diese natürlich nicht mehr zum Verzehr geeignet.
Was ist unter einem Schädling aus behördlicher Sicht zu verstehen?
Zum Beispiel: Ratten, Mäuse oder Insekten wie Käfer, Motten oder Schaben.
„Es kommt immer darauf an, wie gravierend die Verstöße sind“
Aber ein Betrieb wird nicht aus hygienischen Gründen zugesperrt, wenn etwa ein Abfluss minimal verdreckt ist, richtig? Oder anders gefragt: Welche hygienischen Mängel können denn z. B. in einer Bäckerei noch vorliegen, damit der Betrieb nicht sofort zusperren muss?
Ganz unterschiedliche. Es kann sein, dass ein Waschbecken oder Backblech nicht richtig gesäubert ist und darauf Teig-Rückstände vom Vortag erkennbar sind. Wichtig ist dabei jedoch immer, dass durch die Reinigungsdefizite die hergestellten Lebensmittel nicht nachteilig beeinflusst werden können.
Wie viele „gelbe Karten“ werden denn verteilt, bis es zur „roten Karte“, also zur Schließung des Betriebs, kommt?
(lacht) Das lässt sich so nicht sagen – derartige Regeln gibt es nicht, wir sind keine Fußballer… Es kommt immer darauf an, wie gravierend die Verstöße sind und was die geeigneten Maßnahmen sind, um sie abzustellen. Besteht zum Beispiel eine Gesundheitsgefahr, erfolgt die sofortige Rücknahme der betroffenen Lebensmittel vom Markt; das wäre dann eine rote Karte. Auch darf ein Unternehmen nicht weiter unter den Umständen Lebensmittel herstellen, bei denen möglicherweise solche gesundheitsschädlichen Produkte entstehen können. Da besteht unmittelbarer Handlungsbedarf, weil krank werden soll niemand. Entscheidend ist, dass Lebensmittel, die gesundheitsschädlich oder nicht mehr zum Verzehr geeignet sind oder unter ekelerregenden Umständen hergestellt wurden, nicht in den Handel kommen dürfen – und dass der Hersteller hygienische Missstände umgehend beseitigt.
Und wenn die hygienischen Umstände nicht umgehend beseitigt werden?
Dazu gibt es Nachkontrollen. Wird bei einem Betrieb festgestellt, dass er die Auflagen nicht oder unzureichend erfüllt – z.B. Grundreinigung über Nacht -, wird ihm nicht gestattet, unter den unverändert schlechten Bedingungen weiter zu produzieren. Das ist das, was dann landläufig als ‚Schließung‘ bezeichnet wird.
„Beim Landratsamt kann man auch Lebensmittelproben abgeben“
Kann man als „einfacher Bürger“ eigentlich die SE benachrichtigen und deren Einsatz fordern, um einen auffällig gewordenen Betrieb zu melden?
Nein, das ist so nicht möglich. Wie gesagt: Wir werden zur Unterstützung auf Zuruf einer Behörde aktiv. Ein Bürger, der etwas beobachtet hat, kann in sein Landratsamt gehen und die dortige Lebensmittelüberwachung in Kenntnis setzen – oder er kann uns – auch anonym – eine E-Mail zusenden. Wir haben auf unserer Homepage eine Verbraucher-Hotline eingerichtet, die hierfür ebenfalls geeignet ist. Zum Beispiel für jemanden, der in einer Gaststätte arbeitet, in der es nicht so sauber zugeht, wie es zugehen sollte. Dann kann er uns quasi als Whistle-Blower – wie gesagt: gerne auch anonym – informieren. Wir setzen uns mit den zuständigen Behörden dann vor Ort in Verbindung, die wiederum die Vorwürfe genau überprüfen. Die Spezialeinheit kann bei der Kontrolle ebenfalls mit hinzugezogen werden. Es kommt dann eben wieder darauf an, ob es sich um einen schweren oder leichten Fall handelt.
Beim örtlichen Landratsamt kann man ebenfalls Lebensmittelproben abgeben und erklären, dass das Lebensmittel XY von diesem oder jenem Betrieb in der und der Hinsicht verdächtig erscheint.
Sie haben von „schweren und leichten Fällen“ gesprochen. Gibt es denn eine Art „Verstoß-Katalog“, mit dem die SE arbeitet und der bei der Differenzierung zwischen „schwer“ und „leicht“ zu Rate gezogen wird? Sprich: Einen Katalog mit verschiedenen Punkten, der festlegt, bei welcher Anzahl von Verstößen der Bereich des „leichten Vergehens“ in den Bereich des „schweren Vergehens“ übergeht?
Nein, einen derartigen Katalog gibt es in der Lebensmittelüberwachung nicht – und kann es auch nicht geben. Insbesondere Hygieneverstöße sind immer als Einzelfälle zu beurteilen. Eindeutig sind Fälle, in denen bei Laboruntersuchungen festgestellt wird, dass ein Lebensmittel gesundheitsschädlich ist, z.B. weil es mit Krankheitserregern wie Salmonellen verunreinigt ist. Oder weil es verdorben oder verschimmelt ist.
„… aber die Leute sehen die Benstandungen meistens ein“
Schwieriger ist die Beurteilung von hygienischen Mängeln, die beim Verbraucher Ekel auslösen könnten. Das ist wirklich immer eine Einzelfallentscheidung… Auch die Anzahl der Verstöße sagt nicht unbedingt etwas über die Qualität eines Betriebes aus – vielmehr kommt es auf die Schwere der Verstöße an. Insgesamt stufen die Sachverständigen der SE nach jeder Kontrolle die in dem überprüften Betrieb vorgefundenen Mängel als geringfügig, mittelgradig oder gravierend ein.
Werden die Kontrolleure von den Kontrollierten meist eher als pingelig angesehen? Oder sehen die Kontrollierten ein, dass gewisse Verbesserungen schon auch Sinn machen? Welche Erfahrungswerte gibt es hier?
Auch das ist nicht einheitlich. Aber die meisten haben ein Einsehen, ja doch.
Also die Betriebsinhaber fühlen sich nicht schikaniert von der Behörde und sagen: „Jetzt kommen die von der Kontrolle schon wieder und wollen mir wegen einer verschmutzten Steckdose ans Hemd…“?
Nein. Oft heißt es dann seitens der Kontrollierten: ‚Naja, das wollte ich ja schon seit längerer Zeit mal renovieren…‘ Ob das dann tatsächlich so ist, weiß man nicht – aber die Leute sehen die Beanstandungen meistens ein.
Vielen Dank, Frau Schuller, dass Sie sich für die Beantwortung unserer Fragen Zeit genommen haben.
Interview: Stephan Hörhammer