–> auf Tschechisch: Narozený ve městě smrti
Tschernobyl/Pfreimd. Seit mehr als 20 Jahren beliefert die „Aktion Tschernobyl e.V. – aktiv für Menschen in der Ukraine“ aus Pfreimd in der Oberpfalz Krankenhäuser in der Ukraine mit medizinischen Geräten. Aufgrund der politischen Unruhen wurde der Konvoi heuer, im Jahr 2014, zunächst kurzfristig abgesagt. Mitte September starteten die 22 Mitglieder dann doch noch. Ein Reisebericht von Robert Grantner und Julia Häglsperger.
„Es wird für Euch ein Schock sein“, sagt Dr. Josef Ziegler noch zu uns, als wir gerade auf den Eingang zugehen. Es ist der Eingang der Entbindungsstation des Krankenhauses in Slawutytsch. Wer hier das Licht der Welt erblickt, der tut das in einem heruntergekommenen Plattenbau. Baujahr 1986. Alle Gebäude sehen hier gleich aus, die Stadt wurde auf dem Reißbrett entworfen, nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl aus dem Boden gestampft. Hier sollten Menschen aus der evakuierten Zone leben. Und Menschen, die den zerstörten Reaktor wieder zuschaufeln, zubauen. Die sogenannten Liquidatoren. Dafür ließ der Betreiber des Reaktors, der auch den Bau der Stadt finanzierte, extra eine Bahnstrecke einrichten. Slawutytsch – Tschernobyl. Und wieder zurück. Die Stadt wird auch „Stadt der Todgeweihten“ genannt.
Im Vorjahr gelieferter Inkubator ist das einzige elektronische Gerät
Die Außenwand der Entbindungsstation ist angegraut von Wind und Wetter, die Handläufe entlang der Eingangstreppe verrostet. Selbst die Statue davor – eine Mutter mit ihrem Kind – wirkt trostlos. Ihr Blick führt ins Leere. Wir betreten das Gebäude. Es ist dunkel, kaum Licht in den Gängen. Und es ist still. Ganz still. Auch der typische Krankenhausgeruch fehlt. Doch wir sind richtig. Der Chefarzt läuft vorne weg, weist uns den Weg. Er wirkt nervös. Hinter ihm Dr. Josef Ziegler, Vorstand des Vereins „Aktion Tschernobyl e.V.“ und der Leiter des Hilfskonvois. Seit fast einem Vierteljahrhundert fährt er jetzt schon medizinische Hilfsgüter in die Ukraine. Hier in Slawutytsch ist er erst das zweite Mal.
„Das ist der Inkubator, den Sie uns letztes Jahr gebracht haben“, der Chefarzt deutet auf das Gerät, das aussieht wie ein kleiner Brutkasten. Es ist das einzige elektronische Gerät überhaupt in diesem Raum. Und auch nebenan sieht es nicht besser aus: ein Frauenarztstuhl, eine alte Emaillewanne, eine kleine elektrische Standheizung und ein verrostetes Waschbecken an der grüngefliesten Wand. Mehr gibt es nicht. „Wir würden uns noch einen Inkubator wünschen, das wäre wunderbar! Und einen neuen OP-Tisch könnten wir brauchen. Für Kaiserschnitte.“
Während wir den grünlichen Krankenhausflur runter laufen, vorbei an den Holztüren, von denen längst die Farbe abblättert, haben wir Zeit, nachzudenken. Wie anders hier alles ist, wie gut wir es zuhause haben. Dann geht die Tür auf. Der OP, so sagt man uns zumindest. Denn von alleine hätten wir diesen kahlen Raum mit dem grünen PVC-Boden wohl nicht als solchen erkannt.
Schaumstoff quillt aus dem Lederbezug des OP-Tisches
Durch zwei Fenster fällt ein wenig Licht herein. In der einen Ecke stehen Rolltische. Ein paar vereinzelte Gegenstände liegen darauf, die zumindest ein wenig nach Krankenhaus aussehen. Gegenüber in der anderen Ecke stehen große Geräte. Sie sind abgedeckt, scheinbar außer Betrieb. Und in der Mitte des Raums, da steht er. Der Tisch, auf dem der Chefarzt operiert, Kaiserschnitte durchführt. Er ist verrostet, die weiße Farbe löst sich ab. Darunter eine blaue Wanne aus Emaille, in ihr sammelt sich während den Operationen das Blut. Dr. Josef Ziegler schlägt die Abdeckung zurück, ein Riss im Lederbezug wird sichtbar. Der Schaumstoff quillt heraus.
Das ist er, der „Schock“, von dem Dr. Ziegler gesprochen hat. Aber nicht nur bei uns, auch bei ihm selbst. „Da brauchen wir gar nicht weiter drüber reden. Das ist absolut indiskutabel. Da läuft Blut und Sekret rein.“ Er deutet auf den Riss: „Das kann man nie und nimmer steril halten.“
Es sind wohl diese Eindrücke, die Dr. Josef Ziegler – immerhin 73 Jahre alt – jedes Jahr aufs Neue motivieren, sich die Strapazen der langen Reise anzutun. 4.500 Kilometer werden nach der achttägigen Fahrt auf dem Tacho stehen. „Wenn man das sieht, dann weiß man, dass unsere Hilfe dringend gebraucht wird. Und dann macht man das auch gerne.“
Als wir eine halbe Stunde das Krankenhaus wieder verlassen, hat Dr. Ziegler im Geiste bereits die nächste Reise geplant. Er muss hier wieder herkommen. Nächstes Jahr. Mit einem neuen OP-Tisch.
Robert Grantner und Julia Häglsperger
–> und hier gibt’s das Ganze auch noch für unsere tschechischen Leser: Narozený ve městě smrti.