Vorderschmiding. Die knallbunten Hosen und Hemden gehören zu seinen Markenzeichen. Genauso das fröhliche Lächeln und der freundliche Gruß, mit denen er den meisten seiner Mitmenschen begegnet. Man kennt ihn als fleißige Volkfest-Bedienung in den Festzelten des Landkreises. Und man erkennt ihn schon von Weitem, wenn er mit seinem Fahrrad auf den Landstraßen Freyung-Grafenaus unterwegs ist: Lothar Becker aus Vorderschmiding (Gde. Hinterschmiding) ist bekannt wie der sprichwörtliche bunte Hund. Lange Zeit war er von der Bildfläche verschwunden, weil er in Ost-Deutschland sein privates und berufliches Glück gefunden hat. Nun ist er wieder da. Das Onlinemagazin „da Hog’n“ hat den 44-Jährigen bei sich zu Hause in Vorderschmiding besucht – und nachgefragt, wie es ihm heute geht und was er macht.
„Erst haben wir uns zugezwinkert, dann habe ich ihn angesprochen“
Das Wichtigste im Leben des Vorderschmidingers ist seit nunmehr neun Jahren sein Freund und Lebenspartner Ronny Heinz (41). Weshalb es einen nicht verwundert, dass Lothar Becker sofort das Datum nennen kann, an dem sich die beiden das erste Mal getroffen haben: „Es war der 29. Juli 2004. Ich habe beim Feuerwehr-Fest in Waldkirchen bedient, an dem auch Ronny mit der Zwickauer Wehr teilgenommen hatte“, erinnert er sich mit dem gewohnt freundlichen Lächeln. „Erst haben wir uns zugezwinkert, später habe ich ihn dann einfach angesprochen.“ Es passte einfach zwischen den beiden Männern, die sich an diesem Abend ineinander verliebten.
Seit seinem 17. Lebensjahr weiß Lothar Becker, dass er schwul ist. Das Outing, sagt er, war damals eine Erlösung für den jungen Mann – auch wenn er aufgrund seiner sexuellen Orientierung oft ausgegrenzt, ja sogar angefeindet wurde. „Viele sagen, sie wollen mit mir deshalb nix zu tun haben: Das finde ich sehr schade.“ Doch der 44-Jährige steht offenkundig zu seiner Homosexualität, genauso wie er zu seinem Partner steht – trotz mancher Widerstände, trotz der teils schwierigen Situationen. „Was die Leute über mich sagen, ist mir egal“, sagt er entschieden. Auffällige, bohrende Blicke stören ihn nicht. Auch über Tuscheleien hinter seinem Rücken kann er hinwegsehen. Einzig, wenn ihn jemand als „Schwuchtel“ bezeichnet, wird der ansonsten gut gelaunte Mann zornig: „Das ist eine Beleidigung, die ich mir nicht gefallen lassen muss.“
Auf den Gedanken seine Homosexualität zu verbergen, ist er trotz der verbalen Demütigungen noch nie gekommen. Im Gegenteil. „Jeder weiß, dass ich schwul bin – und das ist auch gut so.“ Trotzdem wünscht er sich von seinem Umfeld einen toleranteren Umgang mit gleichgeschlechtlichen Beziehungen. „Teilweise kommt es mir so vor, wie wenn man hierzulande a bisserl Angst vor Schwulen hat,“ sagt er und rückt sich seine Krawatte zurecht.
In Zwickau absolvierte Lothar Becker eine Ausbildung zum Masseur
Eigentlich möchte der „Schmidinger“ nicht lange über dieses Thema sprechen. Zu positiv ist seine Lebenseinstellung, zu glücklich ist er über die Beziehung mit seinem Freund Ronny. Seinetwegen ist er auch für einige Jahre nach Ostdeutschland gezogen, genauer gesagt ins sächsische Zwickau. „Er hat mich eingeladen, zu ihm zu kommen“, erinnert sich Lothar Becker und freut sich noch heute über dieses einschneidende Ereignis in seinem Leben. Ein Waidler in Sachsen. Zwei unterschiedliche Lebenserfahrungen, zwei unterschiedliche Dialekte, zwei unterschiedliche Welten – und doch: „Ich habe mich dort sehr wohl gefühlt. Die Leute waren sehr nett und aufgeschlossen, auch Schwulen gegenüber.“ Im Stadtteil Neuplanitz teilte sich der Exil-Bayer nicht nur mit seiner großen Liebe die gemeinsame Wohnung. Gleichzeitig absolvierte er dort auch eine Ausbildung zum Masseur – ein vorheriges Praktikum an der Caritas-Schule in Freyung hatte ihn von diesem Beruf überzeugt. „Eigentlich wollte ich immer Arzt werden – doch auch als Masseur kann ich Menschen helfen.“
Er pflegt nun Ronny: „Für meinen Freund tu‘ ich alles“
An dieser Aussage wird eine besonders positive Eigenschaft von Lothar Becker deutlich: seine Hilfsbereitschaft und sein Willen, anderen Menschen etwas Gutes zu tun. Deshalb war es für ihn auch selbstverständlich seinen Beruf aufzugeben, als sein Freund Ronny schwer erkrankte. Ein Krebsleiden an der Bandscheibe zwang den Sachsen in den Rollstuhl, zahlreiche Behandlungen und Krankenhausaufenthalte sind seitdem die Folge. Da die beiden in Zwickau in einem Hochhaus ohne Fahrstuhl oder Treppenlift wohnten, entschieden sie sich schließlich in den Bayerischen Wald zu ziehen, in Lothars Elternhaus nach Vorderschmiding. „Für meinen Freund tu‘ ich alles“, sagt er mit Nachdruck. „Ich pflege ihn gerne und helfe ihm, wo es nur geht.“
Wie man Spritzen setzt, ihn am einfachsten in den Rollstuhl hievt und wie der Transport zur Uni-Klinik in Regensburg abläuft, wo Ronny sich alle vierzehn Tage einer Therapie unterziehen muss, weiß Lothar inzwischen ganz genau. Doch während sein Freund mit dem Sanka dorthin gebracht wird, nimmt der Vorderschmidinger einen größeren Aufwand auf sich, um Ronny vor Ort beizustehen. „Dann geht’s mit dem Fahrrad nach Freyung, mit dem Bus nach Passau und mit dem Zug nach Regensburg – da bin ich mehrere Stunden unterwegs.“ Und er wiederholt: „Für ihn tu‘ ich’s gerne.“
„Ich lege Wert auf Mode – farbige Sachen finde ich einfach schön“
Einen Führerschein hat er nämlich keinen – „zu teuer“, sagt er. Deshalb ist der 44-Jährige immer mit dem Fahrrad unterwegs, das sich zu seinem unverwechselbaren Wiedererkennungsmerkmal entwickelt hat. Sommer wie Winter. Er erinnert sich: „Als ich damals in der Maidult als Bedienung gearbeitet habe, bin ich mit dem Rad nach Passau gefahren.“ So wurde Lothar Becker zu einem „echten Original“ in der Gegend um Freyung – auch wegen seiner meist knallig bunten Kleidung. „Ich lege großen Wert auf Mode – und farbige Sachen finde ich einfach schön“, sagt er.
Selbstredend, dass der Waidler seit Längerem darüber nachdenkt, was er nächstes Jahr im Mai anziehen wird – dann soll nämlich die Hochzeit mit seinem Freund Ronny in Hinterschmiding anstehen. Und er kann’s kaum erwarten, wenn es endlich soweit ist …
Helmut Weigerstorfer und Stephan Hörhammer