Eggenfelden. Zum ersten Mal hörten Sie von mir, als ich Ihnen gestand, noch nie eine Oper gesehen zu haben. Das hat sich ja mit „Orpheus und Eurydike“ geändert. Heute gestehe ich Ihnen erneut etwas: Ich habe noch nie eine Operette gesehen. Bis zur „Polnischen Hochzeit„, die am Wochenende am Theater an der Rott in Eggenfelden Premiere feierte. Und ich war dabei.
Noch lieber hab‘ ich die pure Lebensfreude – und die hab‘ ich gespürt
Ach was, Premiere – „Polnische Hochzeit“ feierte die Deutsche Erstaufführung. Lange war das gute Stück verschollen. Der Jude Joseph Beer hatte die Musik zu Alfred Grünwalds und Fritz Löhner-Bedas Libretto komponiert. Im Jahr 1937 freute sich das Publikum bei der Uraufführung in Zürich. Fast ein Jahr lang wurde die Operette samt Joseph Beer hochgejubelt. Auch Wien hatte Interesse an einer Aufführung. Bis die Nationalsozialisten einmarschierten – und Beer gerade noch so entkommen konnte. Wie ich in der Ausstellung im Foyer außerdem erfahre, wurde Joseph Beers Familie im Konzentrationslager Auschwitz ermordet.
„Polnische Hochzeit“ schlummerte in den Schubladen – auch weil der Komponist nach dem Krieg selbst gegen eine Aufführung war. Er bevorzugte ein zurückgezogenes Leben nach all seinen leidvollen Erfahrungen. Erst im letzten Jahr läuteten die Hochzeitsglocken nach vielen Jahren wieder: Joseph Beers Töchter stimmten einer Wiederaufführung zu. Markus Windberger und Patricia Nessy vom Wiener Operettensommer nahmen sich dem Stück in Kooperation mit Eggenfeldens Intendanten Karl M. Sibelius an. 2012 erfolgte die österreichische Uraufführung, am Wochenende feierte Eggenfelden also die Deutsche Erstaufführung.
Ganz ehrlich: Von einer Operette habe ich mir nicht viel erwartet. Altbackenen Kitsch, umringt von gepuderten Omas und müffelnden Opas. Wie früher halt, als ich die Operetten-Hochburg Eggenfelden eben aus diesem Grund nur sehr selten besucht habe. So war es aber ganz und gar nicht. Wissen Sie, ich habe rein gar nichts gegen Kitsch – und auch nichts gegen alte Leute. Aber noch lieber hab‘ ich die pure Lebensfreude. Und die hab‘ ich gespürt.
Das Glück hat mir einen Platz in der ersten Reihe beschert. Von dort aus sehe ich direkt auf die Bühne. Habe hochgeschätzte Beinfreiheit und außerdem einen sehr spannenden Blick in den Orchestergraben. Dort sitzen eine Reihe junger Männer und Frauen, richten ab und zu die Augenpaare auf mich – besonders einer – und geben ihr Bestes. Das Kammerorchester Robert Stolz und die Sinfonia Piccola werden dirigiert von Charles Prince, einem wuschelhaarigen Mann mit Brille, der leidenschaftlich seine Arbeit tut. Wie ich später im Theatercafé erfahre, ist er ein Schüler Leonard Bernsteins und stammt aus New York.
Es geht um Liebe, die sich nicht mit der Vernunft vertragen will
Voller Leidenschaft präsentiert sich auch die wahre Diva des Abends, die Wildkatze, die kokett und sexy ihre Krallen zeigt: Suza, gespielt von Patricia Nessy, die zugleich als Regisseurin agierte – eine wahre Herausforderung, wie ich mir denken kann. Aber eine gemeisterte. Es sei erwähnt, dass die Fotos nicht Patricia Nessy, sondern Katrin Fuchs zeigen, die sich mit ihrer Kollegin abwechselt. Beide Frauen sind äußerst attraktiv. Und weil ich Katrin Fuchs nicht erlebt habe, kann ich nur von Patricia Nessy reden – dass sie nicht nur eine großartige Stimme hat, sondern auch mit überzeugendem Witz und geballter Energie über die Bühne poltert. Wenn Sie sich gegenüber der Herrenwelt behauptet, wenn sie geschickt Täuschungsmanöver einfädelt oder sich absolut katzengleich an ihren Casimir schmiegt.
Täuschungsmanöver? Ja, worum geht es in der „Polnischen Hochzeit“ überhaupt? Es geht um Liebe, die sich nicht mit der Vernunft vertragen will – und schon gar nicht mit väterlichen Wünschen. Baron Mietik Oginsky wünscht sich nämlich nichts mehr, als dass seine Tochter Jadja den reichen, aber in die Jahre gekommenen – und bereits fünfmal verheirateten – Graf Staschek Zagorsky heiratet. Der Grund: Sein Gut steht heruntergekommen da, Geld wäre eine feine Sache. Jadja aber liebt Graf Boleslav Zagorsky, Stascheks Neffen. Und zwar nur ihn. Weil der aber illegal im Lande ist, schafft es der alte Onkel, die Heirat zu erpressen – wenn Jadja zustimmt, wird ihr Liebster nicht verraten …
Ja, was soll sie da entgegensetzen? Nicht gerechnet aber hat der alte Graf mit Suza, Jadjas Freundin und Gutsverwalterin. Sie bereitet alles vor, damit Jadja und Boleslav verschwinden können. Staschek aber ist auch nicht blöd und holt „seine Braut“ zurück. Und wer zuletzt lacht … ist dennoch das liebende Paar. Es ist nämlich Suza, die sich unter dem Brautschleier versteckt. Und lange hält es der alte Graf nicht mit dieser Wildkatze aus. Weshalb schließlich zusammenkommt, was zusammengehört … Ganz nach dem Motto und Ohrwurm des Abends „Du bist meine große Liebe …!“
Wiener Schmäh: Ich warte grad noch drauf, dass Mundl-Bier serviert wird
Nun steht aber Staschek längst nicht in so einem negativen Licht, wie Sie nun meinen mögen. Ich habe ihn tief in mein Herz geschlossen – nicht nur, weil mich seine Figur an einen lieben Bekannten denken lässt. Günter Rainer spielt die Rolle hervorragend. Mit Bart und leicht singender Stimme, die leicht an Captain Blaubärs Sprecher erinnert, wankt er lebenslustig und dem Alkohol zugetan über die Bühne.
Erfreut sich mal an den Frauen und besingt sie, vergleicht sie mit herrlichen Schnäpsen. Erfreut sich am Essen, das Baron Oginsky großzügig auftischt – „a bissal a Wurscht, a bissal a Käse, die Kalbsstelze, und bring doch den Gurkensalat und Torte …“. Erfreut sich an seiner List, als er vermeintlich die Flucht seiner Braut verhindert hat. Und erlangt zu guter Letzt die wunderbare Selbsterkenntnis, dass einem am Ende, in die Jahre gekommen, wenn das Alter Silber in die Haare streut (falls man noch welche hat), nur der Hund und der Wein treu waren. Da geht er an mir vorbei durch die erste Reihe in seinem Morgenmantel – und ich möchte ihm gerne verständnisvoll auf die Schulter klopfen.
In diesem Lied mit dieser Rolle bekommt die Operette so viel Wiener Schmäh, dass ich mich nicht mehr im polnischen Hinterland wähne, sondern in der österreichischen Hauptstadt selbst. Ich warte grad noch drauf, dass Mundl-Bier serviert wird und Staschek den Morgenmantel gegen ein räudiges Unterhemd eintauscht. Nein, Staschek liegt auf dem Sofa, er hält sich einen Eisbeutel an die Stirn, weil seine Wildkatze wieder mal völlig ausgeflippt ist und auch jetzt noch ihren „Helden“ mit Pantoffeln bewirft. Sein Freund Oginsky, ebenfalls ideal besetzt mit Christian Theodoridis, mampft backenbärtig Pralinen. Daneben der Kamin und plötzlich Suza, die im grellen Grün-Pink hereinrauscht und nach dem Besten überhaupt verlangt, weil das Allerbeste niemals genug für sie sein kann – und sie den alten Zausel gewiss um den Verstand bringt.
Mal schnulzig, mal fetzig-jazzig, mal slapstickartig, mal platt-komisch
Das tut sie auch. Staschek willigt der Scheidung ein und Suza ist frei für ihren Casi. Einen witzigen, unbedingt liebenswerten Kerl gibt er ab, der Roman Straka. Der bubenhafte Schelm springt ihm geradezu aus den Augen. Und vertragen tut er leider gar nicht viel. Beim Saufgelage liegt er am Ende gar unter dem Tisch. Und Saufen können sie, die Polen, das weiß man ja. Der Chor des Theaters an der Rott macht schön mit bei dieser Szene, hebt die Becher, tanzt Arm in Arm. Schön eingebunden ist er jedenfalls in die Operette, wunderbar, wie sich Laien und Profis verbinden.
Herrlich auch die Szene, als Boleslav alias Christian Bauer wieder mal den großen Sänger gibt, mit einem alten Mikrofon ganz allein auf der Bühne steht. Da erinnert er mich mit seinen breiten Koteletten an einen Rockabilly-Rebel. Das Amerikanische verstärkt sich, als sich der Theaterchor mit Zylinder und Stöcken Broadway-Revue gleich über die Bühne schiebt – auch wenn das zeitlich natürlich alles nicht zusammenfällt. Sie erinnern sich – die Operette wurde im Jahr 1937 uraufgeführt. Und doch war Joseph Beer seiner Zeit voraus. Denn was sich da auf der Bühne abspielt, hat nicht so wahnsinnig viel mit einer Operette gemein, wie ich sie mir vorstelle. Hier vermischen sich die Elemente. Mal geht’s richtig schnulzig zu, mal fetzig-jazzig, mal slapstickartig, mal leicht platt-komisch, mal folkloristisch.
Das ist dann der Fall, wenn das Ballett des Wiener Operettensommers, unterstützt von der Ballettschule Helga Hemala-Fischer, mit buntesten Trachten herumwirbelt, die sich herrlich vom ganz schwarz-weiß gehaltenen Bühnenbild absetzen. Sogar landwirtschaftliche Gerätschaften haben sie dabei, hantieren mit Sensen und Rechen. Im Gegensatz dazu können sie auch wahnsinnig edel sein, sich in dem verschnörkeltem Bild zeigen, wie ich mir eine Operette vorstelle: In wallenden, pastellfarbenen Kleidern. Und diese Frisuren … verzopft, hochgesteckt, mit frech herauslugenden Fransen. Da schwingen sie im Walzertakt so rührend romantisch übers Parkett, dass ich, die bekanntermaßen sehr empfänglich für Emotionales, schon wieder versucht bin, ein Tränchen zu wischen.
Es ist fast zu viel des Guten – aber ist das nicht manchmal großartig?
Der Gipfel an Romantik ist aber dann erreicht, wenn sich drei große Schaukeln von der Decke lassen, verziert mit Blumengirlanden und Tüchern. Liebeslauben-Schaukeln sind das. Darauf lassen sich die Paare nieder. Jadja – übrigens gespielt von Iris-Marie Kotzian, mit einer beeindruckend klaren Stimme – und Boleslav, die frisch Verliebten, die sich noch zaghaft und äußert zärtlich berühren. Stasi und Stani, die Bediensteten, die es schon können, sich recht eindeutig in Stellung und die Schaukel leicht zum Schwingen bringen. Und schließlich Casi und Suza, deren Position auch nicht nur romantisch anmutet. Das warme Licht, der echt schnulzige Gesang, sowas darf’s schon sein, nach meinem Geschmack. Es ist fast zu viel des Guten – aber ist das nicht manchmal großartig, wenn man’s übertreibt – wenn es übertrieben wird?
Zu guter Letzt erzähle ich Ihnen von meinem ganz persönlichen Highlight – und ich benutze hier das englische Wort für Höhepunkt, Glanzpunkt, weil es nicht aus der Alten Welt, sondern aus der Neuen zu kommen schien. Suza und Casi stehen da, himmeln sich ein bisschen an. Er erzählt ihr, warum er sie so gut, so attraktiv, so sexy findet. Ganz verrückt sei er nach ihren KATZENAUGEN – da reißt er ihr das Kleid vom Leib und sie steht da im engen schwarzen Body, mit Strümpfen. Den beiden werden glitzernde Fracks übergezogen und die Revue beginnt. Im Steppschritt und im runden Scheinwerferlicht bewegt sich das Paar nach hinten, es öffnet sich ihnen Vorhang um Vorhang, bis eine Treppe mit bunt funkelndem Glitzervorhang erscheint – und immer mehr Revue-Girls erscheinen, die Bühne füllen, mit ihrem Tanz das ganze Theater erfüllen, ihre Beine in die Lüfte schwingen.
Gewiss kein Klassiker, sondern eine großartige Wiederentdeckung
Katzenaugen, Katzenaugen – so trällert es noch weit in die Nacht hinein in meinem Kopf. Meine erste Operette war gewiss kein Klassiker, sondern eine großartige Wiederentdeckung, die im kleinen niederbayerischen Eggenfelden Premiere feierte. Hiermit gestehe ich Ihnen, dass ich mir die köstlichen Stunden noch einmal gönnen werde. Und Sie können das auch tun. Machen Sie mit beim Gewinnspiel, freuen Sie sich mit ein bisschen Glück über 2 mal 2 Karten für die Vorstellung am Sonntag, 5. Mai, um 18.30 Uhr im Theater an der Rott. Schicken Sie einfach eine E-Mail an info@hogn.de mit Namen und Adresse und dem Kennwort „Polnische Hochzeit“. Die Gewinner werden ausgelost und am 2. Mai bekanntgegeben. Bonne Chance!
Ihr Fräulein Weiler