Lam. „Ich dokumentiere, weil die Welt zu schön ist, um inszeniert zu werden“, sagt die aus Lam (Landkreis Cham) stammende Fotografin Evi Lemberger voller Begeisterung. Vor kurzem wurde ihre viel beachtete Bilderstrecke über den Bayerischen Wald in einer großen Tageszeitung veröffentlicht. Titel: „Between then and now – Aus der Zeit gefallen – eine Dokumentation über eine Region, die verschwindet“. Grund genug, um sich mit der 29-Jährigen einmal genauer über ihre Arbeit, ihre Ansichten und ihren Blickwinkel auf die Welt zu unterhalten. Den zeitgenössischen Bayerwäldler sieht sie als jemanden, der sich nicht kategorisieren lässt.
Die Welt in Bildern festhalten. Was ist für Dich das Faszinierende an der Fotografie? Sagen Bilder wirklich mehr als die berühmten tausend Worte?
Fotografie ist ein sehr gutes Kommunikationsmittel. Es ist für mich eine unglaublich vielseitige Methode Inhalte zu sammeln und mich und meine Sichtweise ausdrücken zu können – und das ohne dabei den Menschen die Freiheit zu nehmen sich ihre eigenen Gedanken über ein Thema zu machen. Zumindest würde ich mir das wünschen bzw. ist das eines der Ziele innerhalb meiner künstlerischen Arbeit. Neben der Fotografie schätze ich aber auch andere Formate wie das Schreiben, Film oder Radio. Das Eine kann aber nicht mit dem Anderen verglichen werden, denn jedes Medium besitzt für sich bestimmte Vor- und Nachteile. Wichtig ist, dass man sein Medium beherrscht und deren Vor- bzw. Nachteile kennt.
Du bist viel rumgekommen in der Welt, hast zuletzt Fotostrecken aus Bangladesch oder Großbritannien veröffentlicht. Welche Berufsbezeichnung würdest Du Dir selber geben: Reisejournalistin, Dokumentar-Fotografin, Abenteurerin? Ein bisschen von allem?
Ich bezweifle eines von diesen dreien zu sein. Zwar reise und dokumentiere ich – und mache auch Dinge, die mir neu und manchmal unbekannt sind. Meine Beweggründe liegen jedoch woanders. Der eigentliche Grund für meine Arbeit ist meine Neugierde und die Liebe dazu, Dinge zu wissen und mitzuteilen. Ob das jetzt in der Ferne ist oder ganz nah, ist mir egal. Ob das jetzt mit Abenteuer zu tun hat oder nicht – auch. Und fürs Dokumentieren entscheide ich mich meistens, weil die Welt zu schön ist um inszeniert zu werden.
„Ich versuchte das Thema respektvoll zu visualisieren“
Du hast Deine Fotos mit Polaroid- und Spiegelreflexkameras gemacht. Was bevorzugst Du?
Ich glaube, jede Kamera hat ihre Vor- und Nachteile. Es kommt auf das Thema an, wann ich welche Kamera benutze. Deswegen ist es schwierig von einer Lieblingskamera zu sprechen. Oft findet man das Mittelformat in meinen Langzeitprojekten, was daran liegt, dass ich die formalen Möglichkeiten – quadratisch, Handhabung, Farbabstufung – sehr oft praktisch innerhalb meiner Arbeit finde.
„Between then and now“ heißt eine Deiner Bilderstrecken, die jüngst in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wurden. Eine Dokumentation aus Deiner Heimat, dem Bayerischen Wald. Wie kam es zu der Idee? Welche Wirkung wollest Du mit Deinen Fotos erzielen?
Im Rahmen meiner damaligen Bachelorarbeit stand für mich schnell fest, dass ich mich mit dem Bayerischen Wald beschäftigen will. Weil ich zum einen meiner Heimat sehr nahe stehe und zum anderen der Meinung bin, dass diese Region vielerorts nicht bekannt ist. Bei der Themenentwicklung hab ich mich lange mit unterschiedlichen Aspekten des Bayerwaldes beschäftigt – und nach vielen Recherchen, Gesprächen und eigener Reflektion hat sich herauskristallisiert, dass ich das Verschwinden einer bestimmten Lebensart sowie deren Menschen und Orte dokumentieren würde. Ich versuchte das Thema respektvoll zu visualisieren, inhaltlich meine Meinung einfließen zu lassen – und dennoch genügend Freiraum für den jeweiligen Betrachter zu lassen, um sich eine eigene Meinung zu bilden.
Ich sehe meine Arbeit als ein letztes, wehmütiges Loblied auf eine Lebensart, die dem Wandel der Zeit unterworfen ist und Platz machen muss für neue Ideen und Lebensweisen. Diesen Wandel gibt es überall dort, wo Veränderung in der Gesellschaft passiert. Aufgrund der Tatsache, dass es sich um meine Heimat handelt, wollte ich meine Melancholie und meine Nostalgie nicht verstecken. Deswegen der Titel “Between then and now”- in dieser Zeit zwischen damals und heute stecke ich.
„Bin nie mit diesen Klischees konfrontiert worden“
„Aus der Zeit gefallen – Eine Dokumentation über eine Region, die verschwindet“, lautet der Titel der Fotostrecke, den die SZ-Redaktion für Deine Bilderserie ausgesucht hat. Passt der Titel?
Between then and now verdeutlicht meiner Meinung nach das Projekt am besten. Den SZ-Titel finde ich eine interessante Interpretation des Themas. Ob ich ihn passend finde? Momentan bin ich noch unschlüssig, da ich ihn so nicht gewählt hätte, aber ich die Interpretationsmöglichkeiten meiner Bilder und deren Resultate unglaublich spannend finde. Frag mich bitte in zwei Jahren nochmal, dann kann ich Dir sagen, ob ich den Titel gut finde oder nicht.
Über den Bayerischen Wald gibt es viele, häufig völlig überholte Klischees. Die Uhren würden dort etwas langsamer ticken, der Geist der Zeit und der Moderne erst später dort ankommen – wenn überhaupt. Was hältst Du von diesen Klischees?
Mit diesen Klischees kann ich mich nicht identifizieren. Bis dato habe ich an unterschiedlichen Orten gelebt: In Lam, München, London oder New York – wobei ich nirgends das Gefühl hatte, dass Menschen diese Klischees im Kopf hatten, geschweige denn auf mich projezierten. Stattdessen waren die Leute außerhalb des Bayerwalds immer unglaublich neugierig und unvoreingenommen, wenn ich ihnen gesagt habe, woher ich komme. Auch in meinem persönlichen Umfeld bin ich nie mit diesen Klischees konfrontiert worden.
„Es ist ideal, wenn man mehr Zeit für gewisse Dinge hat“
Gehe ich von meinem Erfahrungshorizont aus, sind diese Klischees in Zeiten von Individualismus, Globalisierung und Internet überholt, denn das Internet und dessen Geschwindigkeit orientiert sich nicht an Ballungsräumen – zumindest bei uns im Oberen Bayerischen Wald nicht. Unabhängig davon finde ich persönlich am obigen Klischee nichts Negatives. Es ist ideal, wenn man mehr Zeit für gewisse Dinge hat und sich mal in Ruhe unterhalten kann – ohne daran zu denken, dass der Heimweg noch eine eine Stunde U-Bahn-Fahren bedeutet (lacht) …
Was glaubst Du: Wie kommen solche Klischees zustande?
Ich bin keine Experte für Klischees, aber ich denke, dass diese innerhalb einer Gesellschaft daraus entstehen, dass man sich, um die Größe und Komplexität der Welt zu erfassen, stets einzelne Auffälligkeiten herauspickt, um sie kurz und knapp wiederzuerkennen und sie von anderen Gruppierungen abzugrenzen. Diese Tendenzen werden dann weitergegeben – und wenn es genügend Leute wiederholen, geht es in ein sogenanntes allgemeines Bewusstsein über. Manchmal sind diese Klischees richtig, manchmal überholt, manchmal einfach nur falsch. Ob es okay ist, das Individuum zugunsten der Vereinfachung über Bord zu werfen? Für mich ja. Aber auch nur solange man innerhalb der Betrachtung das Individuum nicht vergisst – und offen ist für Revidierung von Klischees.
„Ein Ort, an dem ich weiß, dass ich immer erlaubt bin“
Wie siehst Du selbst den Bayerischen Wald und seine Menschen?
Ich versuche schon seit geraumer Zeit aufzuschreiben wie ich meine Heimat und die Menschen um mich herum beschreiben kann. Alles was mir einfällt sind eine Vielzahl von Eindrücken. Den zeitgenössischen Bayerwald-Menschen sehe ich als jemanden, der sich nicht kategorisieren lässt. Ich denke, Aspekte wie Individualismus und Globalisierung haben auch vor dem Bayerischen Wald nicht halt gemacht (lacht).
Was den Bayerischen Wald betrifft kann ich die Frage nur aus sehr persönlicher Sicht beantworten. Ich sehe den bayerischen Wald als meine Heimat an, in der ich geboren bin und ich mich aus unterschiedlichen Gründen unglaublich unglaublich wohl fühle, stolz bin und nie missen möchte. Grad fidne ich es super hier zu wohnen und wenn ich zurueckblicke dann freuet ich mich immer wieder dass ich hier leben durfte. Wegen der geographischen Lage, wegen dem klima, wegen den Sachen die ich hier machen kann, wegen der Lebensqualitaet und Lebensraum.
Aber am Ende ist es Geschmackssache, denn jedem gefällt dann doch etwas anderes,
Abschließende Frage: Welche Bedeutung hat für Dich der Begriff „Heimat“?
Heimat hat eine wichtige Bedeutung für mich, denn jeder Mensch braucht eine Heimat – bei mir ist es jedenfalls so. Ein Ort, an dem ich weiß, dass ich immer erlaubt bin. Wo ich mich wohl fühle, sicher und geborgen.
Vielen Dank, dass Du Dir Zeit genommen hast.
Interview: Stephan Hörhammer
Evi Lemberger, geboren 1983 in Lam, Abschluss am „London College of Communication“ in „Conceptual Photography“ mit einem kurzen Austauschsemester in Leipzig an der „Akademie für Kunst und Design“ und einem DAAD-Stipendium am International Center of Photography in New York. Momentan veröffentlicht sie ihre Arbeiten in Gruppen- und Einzelausstellungen in Europa und den USA sowie in verschiedenen Zeitschriften wie „jetzt.de“, Zeit Online, Freitag, Colors und Päng. Sie war in verschiedenen Ländern wie Russland, Ungarn, Bangladesch und Deutschland tätig und lebt Moment in ihrer Heimat, in Lam im Bayerischen Wald, als freischaffende Fotografin und Journalistin.